Demokratie und Rechtsstaatlichkeit oder „Puszta-Populismus“
Die Wahlen in Ungarn und deren Auswirkungen für Europa und die Demokratie an sich stehen im Zentrum dieser Online-Veranstaltung des BSA aus dem März 2022. Die Moderation führt Richard Sattler.
Die Wissenschaft ist sich einig, dass es sich bei Ungarn um keine Demokratie mehr handelt, meint die Politologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Andrássy Universität, Melanie Barlai. Das ungarische Wahlsystem ist unter Orban sowohl auf institutioneller als auch auf administrativer Ebene systematisch manipuliert worden. Wie zu erwarten war, wird auch der Ukrainekrieg und die von dort kommenden Flüchtlinge von Orban instrumentalisiert. Die Meinungsumfragen zeigen keinen besonderen Veränderungen im Wahlverhalten angesichts des Krieges. Die russische Propaganda in den staatlich kontrollierten, ungarischen Medien hat zwar etwas abgenommen; dennoch setzt Orban weiterhin auf billige russische Rohstoffe um seine versprochenen Kostensenkungen, die ihm viele Wählerstimmen bringen, umsetzen zu können.
Journalist und Podcaster Stephan Ozsváth meint, dass es der Anspruch des Populisten als Anführer ist, das ganze Volk zu vertreten – und alle, die da nicht reinpassen, werden ausgemeindet. Deshalb müssen von der ungarischen Regierung auch immer neue Feindbilder (EU, Migranten etc) generiert werden. Daraus entsteht das Gefühl des permanenten Wahlkampfes. Der Autor des Buches Puszta-Populismus stellt fest, dass dieses Vorgehen der Regierung die ungarische Gesellschaft auf Dauer extrem spaltet. Der Ukrainekrieg habe Orbans Partei Fidesz in ihren Wahlkampf überrascht, weshalb man unterschiedliche Signale wahrnehmen kann: einerseits inszeniert sich die Partei als Friedenshüter, andererseits will sie weiterhin eng mit Putin zusammenarbeiten. Im Folgenden geht Oszváth auf die Wahlmanipulationen der Vergangenheit ein, die auch Ukrainer der ungarischen Minderheit in der Ukraine umfassten und angesichts der großen Zahl an Flüchtlingen erneut versucht werden.
Erstmals seitdem Orban 2010 an die Macht gekommen ist, ist die Opposition für diese Wahl geeint, so der für den Standard und das Profil tätige Journalist Gregor Mayer. Aus der Vorwahl der Opposition ging Peter Marki-Zay überraschend als Sieger hervor. Das gemeinsame Programm zielt auf die Wiederherstellung der Demokratie und die Wiedereingliederung in das „normale Europa“ ab. Das Bündnis ist sehr heterogen von links bis rechts. Eine Wahlprognose wagt der Ungarnexperte angesichts der knappen Umfragen und der medialen Möglichkeiten der Regierung nicht. Kurz nachdem Orban an die Macht kam, hat er allen ethnischen Ungarn in den Nachbarländern die ungarische Staatsbürgerschaft ermöglicht und somit auch das Wahlrecht in Ungarn erteilt, selbst wenn sie keinen Wohnsitz in Ungarn haben. Diese Menschen wurden auch schon in der Vergangenheit mit von Fidesz organisierten Bussen über die Grenze gefahren, um ihre Stimme abzugeben. In 106 der 199 Wahlkreise reicht eine einfache Mehrheit, um das Mandat zu erringen.
Die Einzelheiten des ungarischen Wahlsystems, die große Parteien massiv befördert, sind im weiteren Verlauf dieser Veranstaltung ebenso Thema, wie der Einfluss einer hohen Wahlbeteiligung, der Kauf bzw das Erzwingen von Loyalität, die entscheidende Funktion der Zivilgesellschaft, das zukünftige Verhältnis Ungarns zu Europa und vieles mehr.
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Demokratie und Rechtsstaatlichkeit | Wolfgang Müller | CC BY SA 4.0 |