Das Leid der nepalesischen Frauen
Nepal ist eines der ärmsten Länder dieser Erde, und die Bevölkerung besteht aus etwas mehr Frauen als Männern. Ich bin Experte für allgemeine Gesundheit und häufig auf Reisen in den ländlichen Gebieten meines Landes. Während einer Reise nach Lamjung, einer abgelegenen Region in Nepal, in der ich ein Projekt leite, hörte ich eine Geschichte, die mir sehr zu Herzen ging, über eine Frau, die an einem Gebärmuttervorfall litt.
Die Geschichte, die ich hier erzähle, ist repräsentativ für die Mehrheit der Frauen in Nepal.
Kamali Maya Tiwari lebt im Lamjung-Distrikt im westlichen Teil Nepals. Sie verlor ihre Mutter, als sie noch sehr jung war, und wurde bereits im Alter von elf Jahren verheiratet. Mit 18 Jahren brachte sie ihr erstes Kind zur Welt; insgesamt hat sie neun Kinder geboren, von denen fünf noch am Leben sind. Sie ist nun 78 Jahre alt. Alle Geburten fanden zu Hause statt, was jeden einzelnen Fall zu einem Risiko machte, da dabei jederzeit gefährliche und potenziell tödliche Komplikationen sowohl für die Mutter als auch das Kind auftreten konnten.
Sie war Ende 40 und arbeitete gerade auf den Feldern in der Nähe ihres Dorfes, als sie plötzlich das Gefühl hatte, dass ihre Eingeweide nach außen fielen. Sie hatte große Schmerzen.
Ihr war nicht klar, was überhaupt mit ihr passiert war. Sie erzählte niemandem davon – nicht einmal ihren Kindern und ihrem Mann – und hoffte, dass das Problem von selbst verschwinden würde.
So wie Tiwari tauchen immer wieder viele Frauen in den Krankenhäusern Nepals auf, um Hilfe wegen eines Gebärmuttervorfalls zu suchen. Es ist das häufigste gesundheitliche Problem bei Frauen im gebärfähigen Alter oder nach der Menopause.
Gebärmuttervorfälle sind ein großes Problem in den ländlichen Gebieten Nepals, denn es gibt dort einfach keine Krankenhäuser, die diese Erkrankung behandeln können, weil dafür eine fortgeschrittene technische Ausstattung notwendig ist. Frauen aus ländlichen Gebieten haben keinen Zugang zu Einrichtungen, die die richtige Behandlung in einem solchen Fall ermöglichen!
Experten schätzen, dass mehr als 500.000 Frauen in Nepal (bei einer Gesamtbevölkerung von 30 Millionen) an einem Gebärmuttervorfall leiden. Er ist eine der Haupttodesursachen unter den Frauen der unteren Kasten. Diese Frauen gelten als „Unberührbare“; ihnen ist es beispielsweise nicht erlaubt, die Häuser von Familien höherer Kasten zu betreten. Und vor allem haben diese marginalisierten und unterprivilegierten Frauen keinen Zugang zu qualifizierter medizinischer Hilfe.
Gebärmuttervorfälle sind in Nepal weit verbreitet. Das Problem betrifft auf dem Land lebende Frauen überall in den Gebirgen, den Hügeln, den Ebenen und den Tälern des Landes. Ein Gebärmuttervorfall tritt auf, wenn sich die Muskeln und Bänder des Beckenbodens dehnen und schwächer werden und der Gebärmutter nicht mehr ausreichend Halt bieten, die daraufhin in die Vagina herabrutscht oder sogar aus ihr hervortritt.
Die Hauptrisikofaktoren für einen Gebärmuttervorfall sind einerseits das Alter und andererseits eine hohe Zahl von Schwangerschaften – obwohl das Problem in jedem Alter auftreten kann, betrifft es überwiegend Frauen nach der Menopause, die eine oder mehrere vaginale Geburten hatten.
Die weibliche Bevölkerung macht in Nepal etwas mehr als 50% aus. In diesem Land werden Söhne den Töchtern vorgezogen. Dies macht sich in sozialen Indikatoren wie Alphabetisierung sowie den Sterblichkeitsraten von Kindern, Müttern und Frauen im Allgemeinen bemerkbar. Gebärmuttervorfälle sind ein sehr komplexes Problem, weil sie – wie bereits erwähnt – von den nepalesischen Frauen oft geheim gehalten werden aufgrund der Scham, die sie verspüren, wenn sie ein medizinisches Problem haben, das die intimsten und sensibelsten Teile des weiblichen Körpers betrifft.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Prävention gegen einen Gebärmuttervorfall in nepalesischen Gemeinden äußerst wichtig ist. Der Hauptfaktor dabei wäre die Begrenzung der Schwangerschaftsrate unter den Frauen in diesem Land. Gesundheitsbildung während der Schwangerschaft ist ebenso wichtig wie adäquate Vorgeburtsuntersuchungen sowie die ausreichende Ernährung der Frauen.
Die Versorgung nach der Geburt ist in Nepal völlig unzureichend und muss verbessert werden, um die Fallzahl der Gebärmuttervorfälle zu minimieren. Gleiche Bildungschancen sind ebenso essenziell, da die Rate der Schulabbrüche unter nepalesischen Mädchen sehr hoch ist. Wenn sich die gesundheitlichen Bedingungen der Frauen verbessern, verbessert das auch die Gesundheit der Familien, der Gemeinschaften, der Nation und der ganzen Welt.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake
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Der Schmerz nepalesischer Frauen | Bravo Aatma | CC BY-SA 4.0 |