Das Bedingungslose Grundeinkommen: Ist es wirklich so einfach?

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Wie das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) nach der Ansicht seiner Befürworter unser Wirtschafts- und Sozialsystem umfassend reformieren und die gesellschaftlichen Werte vollkommen verändern könnte, habe ich in den beiden ersten Teilen meiner Artikelserie beschrieben. Liest man sich die Argumente der Befürworter durch, gewinnt man den Eindruck, dass das BGE ausschließlich positive Auswirkungen haben könne. Doch sind keineswegs alle dieser Meinung.

Nach Ansicht vieler Kritiker sind zunächst einmal die vorgeschlagenen Finanzierungsmodelle (auf die ich im vorigen Teil eingegangen bin) völlig unrealistisch. Zur Finanzierung des BGE seien enorm hohe Steuern nötig, heißt es da etwa in der Süddeutschen Zeitung. Auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, geht in einem Artikel in der Zeitschrift „Focus“ von astronomischen Kosten für den Staat aus.

Andere Kritiker weisen auf problematische soziale Effekte hin und widersprechen der Meinung der Befürworter, dass das BGE eine Gesellschaft insgesamt freier und glücklicher machen werde: Mit einem BGE entziehe sich der Staat seiner Verantwortung für die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft, sogar von einer „Abschaffung des Sozialstaats“ ist die Rede.

Nikolaus Pieper bezeichnet die Einführung eines BGE daher als „brandgefährlich“ (siehe Artikel). Michael Fratzscher weist in seiner Wirtschaftskolumne in der „Zeit“ darauf hin, dass Erwerbsarbeit eben auch wichtige soziale Anerkennung bedeute. Wenn man alle, die keine Arbeit fänden, durch ein BGE ausreichend versorgt sehe, müssen sich Staat und Gesellschaft keine Gedanken mehr um sie machen – was dann zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft mit einer zwar finanziell halbwegs versorgten, aber dennoch tief frustrierten, sich abgehängt fühlenden Unterschicht führen werde.

Wie schon in Teil zwei dieser Serie erwähnt, ist die große Unbekannte in der BGE-Rechnung die Frage, wie sich die Menschen verhalten werden, wenn sie finanziell nicht mehr auf ein Arbeitseinkommen angewiesen wären. Die Optimisten gehen davon aus, dass die meisten weiterhin bezahlten Arbeitsverhältnissen nachgehen werden – um eine sinnvolle Beschäftigung zu haben, aber auch, um das BGE (das ja nicht mehr als eine Existenzsicherung sein soll) aufzufetten. Die Faulen, die dann gar nichts mehr tun würden, würden zahlenmäßig geringe Ausnahmen bleiben. Die Skeptiker geben hingegen zu bedenken, dass mit einem BGE zu viele Menschen entweder gar keiner sinnvollen Tätigkeit oder nur noch Hobbybeschäftigungen ohne ökonomischen Wert nachgehen würden. Dann aber würde das System, das zu seiner Finanzierung auf Einkünfte aus Erwerbsarbeit angewiesen ist, kollabieren.

Neben der Finanzierbarkeit ist die zu erwartende Verschiebung im Machtverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern der zweite Hauptkritikpunkt am BGE. Die Befürworter sehen eine neue Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer: Wer durch das BGE grundsätzlich abgesichert sei, sei nicht mehr gezwungen, irgendeine unattraktive Arbeit anzunehmen und erreiche dadurch eine viele stärkere Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt.

Die Kritiker befürchten dagegen, dass Arbeitgeber das BGE nutzen könnten, ein bisher nie gekanntes Lohndumping zu betreiben: Das BGE würde die Arbeitgeber von der Verpflichtung befreien, ihren Angestellten die Existenz abzusichern. Damit wären die bisher geltenden Mindestlohnvereinbarungen obsolet, das BGE werde so zu einer Unternehmenssubventionierung. Dass in den letzten Jahren auch Topmanager wie etwa Timotheus Höttges, Chef der Deutschen Telekom, und Siemens-Chef Joe Kaeser Sympathien für ein BGE erkennen ließen, hat dieses Misstrauen bestärkt: Wenn sich die großen Bosse für ein BGE aussprechen, dann doch wohl nur deswegen, weil sie sich Vorteile für ihre Unternehmen erwarten, so der Verdacht.

Andere sehen auch die korrigierende Verhandlungsmacht der Gewerkschaften in Gefahr, weil keine sozialpolitisch motivierte Mindestlohnfestlegung mehr nötig wäre: „Was vielen Erwerbslosen irrigerweise als ‚Schlaraffenland ohne Arbeitszwang‘ erscheint, wäre in Wirklichkeit ein Paradies für Unternehmer, in dem Arbeitnehmer weniger Rechte als bisher und Gewerkschaften keine (Verhandlungs-)Macht mehr hätten“, schreibt etwa Christoph Butterwegge im Focus.

Und es gibt noch ein ganz anderes Problem, das auffallend wenig diskutiert wird: Wie geht man mit dem Thema Migration um? Denn wenn man das BGE an alle Menschen auszahlt, die einen legalen Aufenthalt innerhalb eines Landes haben (also auch anerkannte Asylanten) schafft man einen enormen Migrationsanreiz. Zahlt man es nur an die jeweiligen Staatsbürger, schafft man eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die Inländer fürs Inländischsein bezahlt werden, während die Ausländer in schlecht bezahlten Jobs rackern müssen, um sich über Wasser zu halten.

In den inzwischen sehr zahlreichen Beiträgen der Befürworter eines BGE findet man auffallend wenige Stellungnahmen zum Thema Migration, man hat den Eindruck, dass dieses Problemfeld gemieden wird. Klare Aussagen, ob das BGE an einen legalen Aufenthaltsstatus oder an die Staatsbürgerschaft gebunden sein soll, findet man kaum. Eine eindeutige Stellungnahme kommt vom „Netzwerk Grundeinkommen“: „Bei der Einführung eines Grundeinkommens zunächst in einem Land sollen auch Ausländerinnen und Ausländer das Grundeinkommen erhalten.“

Der in den beiden vorigen Artikeln schon mehrfach zitierte Autor Thomas Straubhaar schlägt in seinem Buch „Radikal gerecht“ eine Wartefrist für Migranten vor, die das BGE erst nach einem längeren Aufenthalt im Land beziehen sollen. Ausführlich mit dem Migrationsproblem befasst sich (wenn auch äußerst linkslastig) ein Text von Hagen Kopp, der eine Beschränkung auf die eigenen Staatsbürger als „rassistisch“ ablehnt.

Nikolaus Pieper weist in einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung hingegen darauf hin, dass ein BGE, das legal im Land befindliche Ausländer einschließt, ein Hindernis für die Integration sein könnte: „Wie soll die Integration von einer Million Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt gelingen, wenn jeder anerkannte Asylbewerber – und das wäre im neuen System zwingend – monatlich 1000 Euro bekäme, egal was er tut?“

Auch der schon erwähnte Armutsforscher Christoph Butterwegge sieht im Focus das Problem des übermäßigen Migrationsanreizes: „Schließlich würde ein bedingungsloses Grundeinkommen fast zwangsläufig zu einer Abschottungspolitik der jeweiligen Regierung führen, weil mit dieser Transferleistung neue Anreize für Armutszuwanderung entstünden.“

Die einzige Lösung für das Migrationsproblem scheint ein globalisiertes Grundeinkommen zu sein, das in allen Ländern der Erde gilt und so einseitige Migrationsanreize ausgleicht. Hagen Kopp führt diese Idee in seinem schon erwähnten Artikel aus, doch ist sie noch weitaus utopischer als die eines nationalen BGE und erscheint völlig jenseits des Machbaren.

Ganz so einfach, wie man nach den Argumenten der Protagonisten glauben könnte, ist es mit dem BGE also wohl doch nicht. Der vierte und letzte Teil der Serie beleuchtet die konkreten Schritte zu einer Evaluierung sowie Chancen auf eine Realisierung des BGE!

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Politiker Politiker Agnes Avagyan CC BY-SA 4.0