Alpbach Talks: Bürgerrechte im digitalen Zeitalter
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 22. 6. 2016
- Veranstalter
- European Forum Alpbach
- Ort
- Unteres Atrium, Leopold Museum, Wien
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Alberto Alemanno, Mitbegründer und Direktor, The Good Lobby; Jean Monnet Professor, HEC Paris
- Joseph A. Cannataci, UN Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatsphäre, Universität Malta, Msida
- Alma Zadic, Alumna, Forum Alpbach Network, Wien
Schlimmer als Orwells Albtraum
Welche Mittel braucht es, um im digitalen Zeitalter Raum für Bürgerbeteiligung zu schaffen? Wie kann das Internet reguliert, aber zugleich das Recht auf Privatsphäre aufrecht erhalten werden? Der Bürgerrechtsexperte Alberto Alemanno und Joseph A. Cannataci, UN Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatsphäre, diskutierten am ersten Grundrechteforum in Wien, um im Rahmen einer Spezialausgabe der Alpbach Talks diesen und anderen Fragen auf den Grund zu gehen.
„Was würden Sie sagen, wenn Ihre Regierung die Bürger dazu verpflichtet, ein Gerät bei sich zu tragen, durch das sie jederzeit Zugriff auf ihre Daten hat, den Mailverkehr abrufen und darüber hinaus noch jeden Ihrer Schritte nachvollziehen kann?“ fragt Joseph A. Cannataci, UN-Sonderberichterstatter zum Datenschutz, die Zuhörer beim ersten der Alpbach Talks und erklärt, dass sie sehr wahrscheinlich bereits eines in der Tasche hätten. Mit unseren Smartphones ermächtigen wir halt nicht die Regierung ungehindert in unserer Privatsphäre zu schnüffeln (oder nur bedingt), dafür aber milliardenschwere Internetunternehmen wie Facebook, Google und Amazon. „Winston (die Hauptfigur in George Orwells Roman „1984“) konnte zumindest aufs Land gehen, wo er unter einem Baum vor den sogenannten Teleschirmen des Großen Bruders sicher war. Heute werden wir selbst im ländlichen England von mehr Kameras ausgespäht, als sich George Orwell jemals hätte vorstellen können.“ Cannataci zeichnet ein düsteres Bild der Gegenwart, das auch Bürgerrechtsexperte Alberto Alemanno nicht wirklich aufhellen kann.
„The Good Lobby“ als Brückenbauer
Alemanno gründete vor kurzem die NGO „The Good Lobby“ und erklärt im Gespräch mit Moderatorin Alma Zadic vom Forum Alpbach, was er mit seiner Organisation erreichen will: Er sieht einen regelrechten Kampf David gegen Goliath – NGOs sind in der EU unterrepräsentiert und personell unterbesetzt. Die großen Konzerne investieren dagegen unglaublich viel Geld und Ressourcen, um Politiker zu treffen und sich mittels Lobbying Zutritt zu politischen Entscheidungsprozess zu verschaffen. Das führt dazu, dass einige Interessen viel besser vertreten sind als andere. Manche Stimmen sind viel lauter als der Rest. Manche hört man gar nicht.
Die „Good Lobby“ möchte erreichen, dass jeder einen Platz am Verhandlungstisch bekommt. Sie versteht sich als Plattform, die Experten mit NGOs vernetzt, welche sich dem Umweltschutz und anderen gemeinnützlichen Zwecken widmen. Mit Experten meint Alemanno Wissenschaftler, Fachleute und auch ganz normale Bürger.
In den nächsten 10 Jahren wird sich die Zahl der Studierenden an weiterführenden Schulen und Universitäten verdoppeln, prophezeit Alemanno, gleichzeitig werde das Interesse der Bürger, an politischen Entscheidungen mitzuwirken, weiter sinken. Eine paradoxe Situation: Die Welt wird zwar immer professioneller, nutzt diese Expertise aber nicht. „The Good Lobby“ will dieses Wissen – sei es in technischen Belangen oder juristischen Fragen – NGOs und den Bürgern zur Verfügung stellen und damit eine Brücke zwischen ihnen und der Politik schlagen.
Whistelblower, vielgehasste Aufdecker
Außerdem möchte Alemanno sogenannte Whistelblower, also Personen die Skandale aufdecken, mit seiner Organisation unterstützen. Whistelblower geraten häufig unter medialen und beruflichen Druck, der bis zur Existenzvernichtung führen kann. Auch an deren Image will Alemanno arbeiten; Whistelblower werden von der Öffentlichkeit häufig als Verräter und Denunzianten wahrgenommen, was sie zusätzlich starken psychischen Belastungen aussetzt. Ziel ist, dass nicht mehr der Überbringer einer schlechten Nachricht stigmatisiert wird, sondern deren Verursacher.
Ein weiterer wichtiger Punkt auf Alemannos Agenda ist, was er als Bürger-Lobbying bezeichnet. Bisher hat man weitestgehend nur zwei Möglichkeiten am politischen Leben teilzunehmen: Man kann wählen, sofern man dieses Recht überhaupt nutzt, oder man kann ein politisches Amt anstreben, doch da sind sehr hohe Hürden zu nehmen. Es gibt aber viele andere Wege die Gesellschaft mitzugestalten. Man kann Politiker kontaktieren, Petitionen starten oder Klagen einreichen. „The Good Lobby“ will die Bürger dabei unterstützen, da hier oft Schwellenängste zu überwinden sind.
Daten, unser Geschenk an milliardenschwere Internetgiganten
„Ich frage meine Studenten oft: Wer von euch glaubt, dass Facebook oder Twitter kostenlos sind? Da heben fast alle die Hand“, erzählt Alemanno aus seinem Vorlesungsalltag. „Nur sehr wenige sehen, dass wir mit unseren Daten für die Nutzung bezahlen.“ Das Bewusstsein für diesen Handel ist selbst bei Akademikern und in der Social-Media-Generation gering, oder wird aus Bequemlichkeit verdrängt; obwohl Alemanno zumindest in Europa einen Sinneswandel zu erkennen glaubt. Den Grund für diese Trendwende in Europa sieht Alemanno in einer fundamentalen kulturellen Diskrepanz: Für uns Europäer ist Datenschutz ein Recht, für die Amerikaner eine Ware. Das macht einen sehr großen Unterschied. Die Amerikaner gewähren dem Markt vollen Zugang zu Daten und sie scheinen kein Problem damit zu haben. In Europa ist die Privatsphäre theoretisch immer noch ein sehr hohes Gut, das allerdings aus Bequemlichkeit häufig vernachlässigt wird. Wir sprechen da trotzdem eine andere Sprache.
Der Schutz der Privatsphäre bringt Marktanteile
An dieser Stelle übernimmt Joseph A. Cannatci das Wort: Er sieht in der Verschlüsselung des Internetverkehrs eine Chance zur besseren Wahrung der Privatsphäre. Die Regierungen wehren sich zwar noch dagegen, er hofft aber, dass sich die Vernunft letztlich doch durchsetzen wird. Die „Bad Guys“ werden sich von Verboten kaum daran hindern lassen, ihre Kommunikationskanäle auch künftig mit immer trickreicheren Verschlüsselungen vor Ausspähungen zu schützen, während die normalen Bürger den Datensammlern weiterhin ausgeliefert bleiben. Außerdem schafft die Internetindustrie einfach Fakten, um sich ihre Märkte zu sichern. Konzerne wie Apple, Google oder Facebook mit Whats App setzen immer mehr auf verschlüsselte Kommunikation und Internetverkehr, weil zumindest in Europa das Thema Privatsphäre an Bedeutung gewinnt. Ihnen gehe es dabei vermutlich nicht um die Interessen der Nutzer, sondern um Marktanteile, aber das wäre letztlich egal, meint Cannataci. Als Beispiel nennt er den Fall der Weigerung Apples, ein iPhone auf Wunsch des FBI zu entsperren.
Die Regierungen dürfen das Sicherheitsbedürfnis ihrer Bürger nicht gegen das Recht auf Datenschutz ausspielen, meint Cannataci und fordert von den Verantwortlichen, bei jeder Entscheidung diese beiden Güter gegeneinander aufzuwiegen. Es gebe jetzt bereits 100 mal mehr Überwachung als zur Stasizeit und auch eine weitere Aushöhlung des Anspruchs auf Privatsphäre könne keine hundertprozentige Sicherheit gewährleisten, ist Cannataci überzeugt. Ausnahmslos alle Terror-Attentäter der jüngsten Vergangenheit waren den Behörden bekannt, verhindern konnten sie die Anschläge trotzdem nicht und gegen psychisch gestörte Einzeltäter hilft auch die lückenloseste Überwachung nicht. Hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben, sagt Cannataci. Datenschutz dagegen helfe jedem Einzelnen, sich zu der Person zu entwickeln, die sie sein will, ohne durch Selbstzensur und Abstumpfung in ihrer Entwicklung gehemmt zu werden.
Die Entwicklung des Internet steht noch am Anfang
Die Entwicklung des Internet erinnere ihn an die Entwicklung bei Autos, meint Cannataci. Bei Autos konzentrierte man sich anfangs in erster Linie auf die Geschwindigkeit, der Rest war ziemlich egal – erst nach und nach wurde an die Sicherheit gedacht. Beim Internet verhält es sich ähnlich; Die Entwicklung stünde noch am Anfang und man wird noch viel in Sicherheit und die Etablierung rechtlicher und technischer Standards investieren müssen.
Alberto Alemanno bestätigt Cannatacis Sicht und vergleicht das zunehmende Sicherheitsbewusstsein der Internetnutzer mit dem Rauchen: Ein ehemals akzeptiertes Verhalten wird zunehmend geächtet, weil Bewusstsein geschaffen wurde. Analog dazu werde sich das Bewusstsein um die Privatsphäre im Internet entwickeln, ist er überzeugt.
Digitale Bürgerbeteiligung wird kaum angenommen
Abschließend widmet sich Alemanno den Möglichkeiten digitaler Bürgerbeteiligung und konstatiert, dass sich in der Bewertung digitaler Tools nach anfänglicher Euphorie Ernüchterung breit gemacht hat. Als Beispiel nennt er eine der seiner Meinung nach wichtigsten Errungenschaften in diesem Bereich: Eine Uploadmöglichkeit für Organisationen, die der EU-Kommission Stellungnamen zukommen lassen möchten, ohne den vormals komplizierten Weg per Post oder persönlichen Erscheinens nehmen zu müssen. Dieses und andere Tools zur Bürgerbeteiligung werden allerdings kaum angenommen. (Was mich nicht wundert, denn auch nach intensiver Suche im Netz konnte ich die angesprochene Seite nicht finden.) Um hier mehr Zuspruch zu erreichen, müsse man sich an den großen Social-Media-Portalen wie Facebook und Twitter orientieren und Bürgerbeteiligungssoftware entwickeln die zur Teilnahme einlädt.
Alberto Alemanno (geboren 1975 in Italien) ist Professor für europäisches Recht in Paris und bezeichnet sich selbst als Bürger-Lobbyisten. Seit 2003 berät er die Europäische Kommission zu den TTIP-Verhandlungen.
Joseph Cannataci ist UN-Sonderberichterstatter zum Datenschutz. Er studierte Recht an den Universitäten von Malta und Oslo. Später qualifizierte er sich in Großbritannien zum Chartered Information Technology Professional und erhielt den Titel eines Chartered Fellowship der British Computer Society. Seinen Doktortitel der Rechtswissenschaften erwarb er im Jahr 1986 mit einer Arbeit über Privatsphäre und Datenschutzrecht. Im Laufe seiner Karriere war er unter anderem als Professor an die Universitäten in Groningen, Malta, Perth und Farmville berufen.