Bildung unter der Besatzung
Palästina hat innerhalb der arabischen Welt den höchsten Prozentsatz an Einschreibungen in Bildungsinstitutionen und eine im Vergleich zu anderen arabischen Ländern sehr niedrige Analphabetismusrate. Ungeachtet der Tatsache, dass die Palästinenser aufgrund der israelischen Besatzung politisch und ökonomisch unter extrem harten Umständen leben, haben sie im Kampf gegen den Analphabetismus erhebliche Erfolge erreicht.
Das Verlangen nach Bildung unter den Palästinensern reflektiert ihr tiefes Verständnis des berühmten Konfuzius-Zitates:
Bildung bringt Zuversicht. Zuversicht bringt Hoffnung. Hoffnung bringt Frieden.
Bildung wird von den Palästinensern als sehr mächtiges Werkzeug angesehen und genutzt. Bildung hat ihnen nicht nur geholfen, auf verschiedene Art Unterstützung für ihren Kampf zu mobilisieren, sie hat ihnen auch geholfen, dem Besitzanspruch der Israelis auf das umstrittene Land etwas entgegenzuhalten.
Die israelische Besatzung und ihre Maßnahmen im Namen der Sicherheit haben für die Palästinenser zu vielen Hindernissen geführt. Diese willkürlichen Maßnahmen sind wohlorchestrierte Pläne, um die Entschlossenheit der Palästinenser zu schwächen und sie so in allen Lebensbereichen zu demotivieren. So ist zunehmend zu beobachten, dass die israelischen Strategien darauf abzielen, den gesamten bisher in Bildungsfragen erzielten Fortschritt zunichte zu machen, indem so viele Hürden wie möglich aufgebaut werden.
Solche Hürden sind etwa die Checkpoints und die Mauer der Apartheid, die die palästinensischen Gebiete abtrennt und den physischen Zugang zu einer Bildungsinstitution für palästinensische Studenten an jedem Tag zu einer Herkulesaufgabe macht, ebenso wie verschiedene israelische Maßnahmen, die darauf abzielen, vom palästinensischen Bildungsministerium initiierte Bildungsprogramme lahmzulegen und obsolet zu machen.
Die Organisatoren des Jugendcamps leiteten Kontakte mit Studenten und Professoren verschiedener palästinensischer Universitäten in die Wege. Für uns wurden Besuche an den folgenden Institutionen organisiert: Birzeit University, An-Najah National University und Arab American University.
Die Birzeit University befindet sich in Birzeit in der Nähe von Ramallah. Für uns wurde von den Studenten und Professoren der Universität ein Seminar durchgeführt, in dem verschiedene Themen in Bezug auf Hochschulbildung in einem besetzten Gebiet diskutiert wurden.
Einer der Punkte, über den die meisten Studenten sprachen, waren die Schwierigkeiten, denen sie täglich ausgesetzt sind, um die Universität von ihren Wohnungen aus zu erreichen. Checkpoints und andere Hindernisse, die von der israelischen Militärverwaltung im Westjordanland aufgebaut wurden, führen zu einer beträchtlichen Ausdehnung der Fahrzeiten. Tatsächlich sind palästinensische Studenten wegen häufiger israelischer Blockaden oder der Verweigerung der Erlaubnis, einen Checkpoint zu überqueren, oft überhaupt nicht in der Lage, die Universitäten zu erreichen.
Sie beklagten, dass solche Hindernisse ihre Ausbildung in erheblichem Maß erschweren. Ich war wirklich beeindruckt, als einer der Studenten einräumte, dass ihre größte Herausforderung während des Studiums darin bestehe, nicht aufzugeben und ihre Hochschulausbildung unter diesen so hinderlichen Umständen auf bestmögliche Art zu beenden.
Die Professoren der Universität erzählten von ähnlichen Erfahrungen beim Überwinden der verschiedenen Hindernisse, denen sie sich bei der Erfüllung ihres Bildungsauftrags gegenübersehen. Die Inhaftierung von Professoren durch die israelische Armee ist in Palästina kein neues Phänomen, und solche Festsetzungen behindern auch den Bildungsprozess an den Universitäten.
Von Zeit zu Zeit werden Universitäten von der israelischen Armee komplett geschlossen unter dem Vorwand, sie seien Brutstätten antiisraelischer Gewalt. So war etwa die Birzeit-Universität von 1988 bis 1992 geschlossen.
Nach dem Ende des Seminars wurden wir auf einen Rundgang durch die Universität geführt und hatten auch die Möglichkeit, eine von den Studenten organisierte Ausstellung über den Wiederaufbau im Gazastreifen zu besichtigen.
Die zweite Universität, die ich im Westjordanland besuchen konnte, war die An-Najah National University. Unser Besuch dort fand an dem Tag statt, als wir nach Nablus fuhren. Einige Teilnehmer des Jugendcamps fuhren an diesem Tag nach Jenin und besuchten dort die arabisch-amerikanische Universität.
Es gab dort ein kleines Museum mit einer Sammlung palästinensischer Artefakte, alten Dokumenten aus der Zeit vor 1948 und palästinensischen Trachten. Eines der Fakultätsmitglieder begleitete uns und gab uns viele Informationen über die Ausstellungsstücke. Wir wurden durch die Universität geführt und hatten danach noch die Gelegenheit, mit einigen Studenten zu sprechen.
Der Besuch an den palästinensischen Universitäten war eine lehrreiche Erfahrung für mich. Es war motivierend, die Begeisterung für Bildung unter den palästinensischen Jugendlichen und Professoren zu erleben: Sie kämpfen gegen alle Widrigkeiten, um zu lernen und sich im Leben weiterzuentwickeln. Es gibt keine Garantie auf einen Arbeitsplatz, nachdem sie ihr Studium abgeschlossen haben; das ist ihnen sehr wohl bewusst, dennoch haben sie eine vorbildliche Motivation, eine höhere Bildung zu erreichen.
Palästinas Top-Position unter allen arabischen Ländern in Bezug auf die Alphabetisierungsrate ist ein Beleg für die starke Überzeugung der Palästinenser, dass Bildung einerseits in ihrem nationalen Kampf um Unabhängigkeit eine wichtige Rolle spielt, andererseits aber auch ein Weg ist, um sich in ihrem eigenen Leben weiterzuentwickeln.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake