Bernhard Heinzlmaier über das kleine Glück & den Zustand der Gesellschaft (Zukunftskonferenz 2021)

Gesellschaft

Im Backstage Interview mit Michael Winkler, das im Rahmen der Zukunftskonferenz 2021 in Wien stattgefunden hat, gibt der Sozialwissenschaftler, Demoskop und Jugendforscher Prof. Mag. Bernhard Heinzlmaier sehr private Einblicke in sein Leben als Vater einer zweijährigen Tochter und er spricht über die Ängste der Eliten und der Mittelschicht vor dem drohenden Abstieg, die Auswüchse des digitalen Kapitalismus am Beispiel von Amazon und Tesla und seinen persönlichen Weg in der aktuellen von Covid-19 bestimmten Situation.

Die Geburt seiner Tochter im März 2020, also unmittelbar zu Beginn des ersten coronamaßnahmenbedingten Lockdowns, habe sein Leben massiv verändert, so Heinzlmaier. Der Jugendkulturforscher hatte durch die von der Regierung damals verhängten Einschränkungen das Privileg, ein Jahr lang intensiv an der Seite seiner Tochter zu verbringen und er konnte damit Ihre Entwicklung unmittelbar erleben und begleiten. Seit dieser Erfahrung ist für Prof. Mag. Bernhard Heinzlmaier klar, dass Ihm seine Kinder wichtiger sind als alles andere. In Kürze steht der nächste Schritt an, er wird sich auch bei der Eingewöhnung seiner Tochter in die Kleinkindbetreuung um sie kümmern.

Heinzlmaier, der selbst kein TV-Gerät zuhause hat und Internet via Handy und Computer nur sehr eingeschränkt nutzt, erlebt dadurch eine sehr wohltuende Abwechslung zum Alltagsgeschehen, was seinem Urteilsvermögen guttue. Angesprochen auf seine Sichtweise auf das allgegenwärtige „Corona“-Thema gibt er an, ein Pragmatiker zu sein. Zum einen interessiere ihn dieses Thema nur peripher, zum anderen trage er dort Maske, wo vorgeschrieben und sei auch geimpft.
„Ich mache das, um meine Ruhe zu haben!“, so der Sozialwissenschaftler. Hierbei habe für Ihn aber weder Moral oder eine gewisse Überzeugung eine Rolle gespielt noch wollte er damit einen solidarischen Akt setzen. Es ging ihm schlicht und ergreifend um Wiedererlangung seiner persönlichen Freiheit. Das gleiche Motiv sehe er bei den Jugendlichen, die zwischen 13 und 25 Jahren ihre einzige wirkliche spontane Zeit – frei von Verpflichtungen und engen Rahmenbedingungen – hätten und diese Freiheit auch nutzen wollen.

Das Lockdownjahr habe dieser Gruppe massiv geschadet, seiner Ansicht nach, kam es zu einer Internalisierung der geforderten Maßnahmen und daraus folgend zu einer Selbstunterdrückung. Die Auswirkungen werden zwar erst später sichtbar sein, aber sie werden die vorhandene Einstellung zum Leben modifiziert haben, Heinzlmaier spricht dabei von einem „Corona-Mal“.

Zur gesamtgesellschaftlichen Situation erklärt der Demoskop und Jugendforscher, dass sowohl die Eliten als auch die Mittelschicht unter massiven Abstiegsängsten leiden. Die vom deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaftler Oliver Nachtwey geprägte Rolltreppenmetapher hält er für absolut nachvollziehbar. Die Eliten haben sich oben abgeschottet, alle anderen kämpften tagtäglich gegen den Drift der Rolltreppe, wer stehen bleibe, lande im Orkus, so Heinzlmaier. Leben sei heute also ein ständiger Kampf, wer ihn nicht tagtäglich aufnehme, habe keine Chance, seine Position zu erhalten. Das Rezept zum Erfolg sehen die Betroffenen in der willfährigen Anpassung: „Populär sind die, die sich am besten anpassen“, betont der Sozialwissenschaftler.

Die besten Beispiele für die Macht des digitalen Kapitalismus sieht er in den Verteilerzentren von Amazon und bei der Produktion von Tesla. Erstere wären nach streng hierarchischen und mit militärischen Disziplinierungsmaßnahmen ausgestattete „Folterobjekte“, die ihn an Dantes Inferno erinnerten. Amazon sei Klassenkampf von oben. Am Beispiel von Tesla zeige sich, wofür sich Politiker herzugeben bereit seien. Für den Gegenwert von ein paar tausend Arbeitsplätzen und für das Aufpolieren des eigenen Images, würden Grundstücke zur Verfügung gestellt, in Berlin würde sogar das städtische Wasserreservoir angezapft, um die wasserintensive Herstellung von Akkus sicherstellen zu können. Dies widerspreche jedem demokratischen Prinzip, es stelle die gesamte polit-ökonomische Kultur Europas, die auf Kooperation von Arbeit und Kapital aufbaut, zugunsten eines amerikanischen digitalen Kapitalismus in Frage. Arbeitnehmer seien dort nur noch ein Spielball der Interessen des Kapitals. Daher sehe er auch für die bevorstehende Bundestagswahl in Deutschland, selbst bei einem Kurswechsel nach „links“, keine wesentlichen Veränderungen für die Lage der arbeitenden Menschen.

Er selbst habe bald erkannt, dass es sich nicht lohne, einen „Krieg gegen die Mächtigen“ zu entfachen, er beschränkt sich daher auf die eine oder andere kritische Meldung und konzentriert sich sonst lieber auf sich und das kleine Glück. „Das kleine Glück ist“ nämlich „nicht nichts“, zitiert Heinzlmaier abschließend Peter Handke. Er selbst habe vor, dieses kleine Glück nicht aufs Spiel zu setzen.

Website der Zukunftskonferenz 2021: https://zukunftskonferenz.live/

Alle Videos zur Zukunftskonferenz findet ihr auch unter:
https://sender-fm.veezee.tube/c/zukunftskonferenz_channel/videos

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Backstage InterviewHeinzlmaier Wolfgang Müller CC BY SA 4.0