Backstage Interview mit Christian Felber (Zukunftskonferenz 2021)

Gesellschaft

Der Initiator des Projekts Gemeinwohl-Ökonomie, Mag. Christian Felber, ist skeptisch, ob es angesichts der aktuelle Krise Verbesserungen für die Mehrheit der Menschen geben wird. Seit der Finanzkrise 2008, als man versprach, die Finanzmärkte zu zähmen, ist die Vermögens-Ungleichheit weltweit ebenso massiv gestiegen, wie die Machtkonzentration. Maßnahmen wurden zwar gesetzt, aber das systemische Risiko hat sich kaum reduziert.

Der Rückenwind für alternative Modelle wie jenes der Gemeinwohl-Ökonomie sei aktuell etwas stärker, somit bleibt zumindest die Hoffnung, dass sich tatsächlich etwas zum Positiven verändert.

Bezüglich des medial gehypten Begriffs der medizinischen Triage stellt Felber fest, dass wir täglich ethische Triage betreiben, zB indem Werbung für fette und fleischreiche Kost betrieben wird oder indem Waffenkäufe oder Subventionen für fossile Energieträger mit Steuergeld finanziert werden, anstatt nachhaltiges Wirtschaften oder Aufklärungskampagnen zu unterstützen.

Das Gesundheitsverständnis, welches Regierungen derzeit propagieren, wurde nie genauer definiert: die Autoren des Papiers Corona ins Verhältnis setzen ziehen dafür die Ottawa-Charta heran, die auf Dezentralität, Vielfalt und Gesundheitskompetenz setzt. Es sei bedauerlich, dass es zB keine Informationskampagne zur Stärkung des Immunsystems gegeben hat, obwohl man doch ständig behauptet, die Gesundheit schützen zu wollen. Bestimmte Maßnahmen (Lockdowns) bewirken sogar eine Schwächung des Immunsystems.

Die radikale Entsachlichung und der stark abnehmende Respekt für das Gegenüber sind zwei offensichtliche Auswirkungen der aktuellen Krise. Verstößt oder kritisiert man gegen das (explizit nie definierte) Gesundheitsverständnis der Regierung, wird man nicht neugierig gefragt, sondern mit abfälligen Begriffen geframed. In einem demokratischen ebenso wie in einem wissenschaftlichen Diskurs sind solche Vorgehensweisen ein absolutes no-go. Leider habe sich die Gesellschaft damit an Franzobels Definition einer Meinungsdiktatur angenähert; oder auch an das aus DDR-Zeiten bekannte Wahrheitsregime. Viele Experten, die bis zur Corona-Krise als solche galten, kommen im medialen Diskurs gar nicht mehr vor oder werden, wenn sie sich äußern, mit abfälligen oder sinnfreien Eigenschaftsworten („der umstrittene“) belegt. Die moralisch Erhabenen erkennen nicht, dass sie der anderen Seite mehr und mehr Grundrechte entziehen. Es bleibe zu hoffen, dass wir mit Ende der Corona-Krise wieder zum Zuhören zurückfinden, um gemeinsam an Lösungen im Umgang mit Pandemien zu arbeiten.

Das Corona-Virus bietet sowohl für dystopische Erwartungen (Überwachungsstaat, Herrschaft der Konzerne), als auch für Erweckungsszenarien (Nachhaltiges Wirtschaften, neue Selbsterkenntnis des Menschen) eine Projektionsfläche. All diese Ängste und Hoffnungen gab es aber auch schon vor der Krise. Deshalb sei es am Sinnvollsten, seine eigenen Projekte und Ideen einfach weiter zu verfolgen und sich nicht von der Aktualität ablenken zu lassen.

Das Interview führte Reinhard Jesionek.

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Christian Felber – Backstage Interview Wolfgang Müller CC BY SA 4.0