Anruf aus Hollywood
Wir waren gerade an Geras vorbeigefahren auf dem Weg nach Schloss Primmersdorf an der Thaya. Dort fand ich in der Künstlerkommune von Vesna und Jon Arbeit, ein Zuhause, eine Bibliothek sowie einen Trittstein über die Grenze zu meinen Nachbarn und Vorfahren in Böhmen. Es wurde die Heimatbasis meines „grünen Reservats“.
Weiter ging’s zu den Diné, bei uns besser bekannt als Navajo …
(aus: Ein frischer Wind weht)
Ich reiste immer wieder mal nach London für das temporäre Projekt, und 1995 ergab sich die Gelegenheit, an einer neu gegründeten Schule für Sprachen, Darstellende Künste und Medien in Brondesbury Park zu unterrichten.
Meine Freunde hatten sie aufgebaut, die Kollegen waren toll und die Studenten kamen aus aller Welt. Obendrein erlaubte mir diese Tätigkeit, mich auf meine anderen Interessen sowie meine weitere Ausbildung zu konzentrieren. Ich zog in eine hübsche, kleine Straße in West Hampstead, die von Kirschbäumen gesäumt war und sehr vorteilhaft in Gehreichweite zum tschechisch-slowakischen Club lag.
Der vordere Raum sah aus, als sei er direkt aus dem Wien oder Prag um 1900 herbeigebeamt worden, mit Bildern von Kaiser Franz Josef und so. Überkorrekt gekleidete ältere Leute trafen sich dort, um Bridge zu spielen, um am Sonntag gemeinsam zu Mittag zu essen oder einfach nur um zu reden. Im Hinterzimmer, um die Bar herum, war die Luft dicker als in einer alten schlesischen Industriestadt, verschiedenste Arten von Rauch kringelten sich zu einer gelben Decke empor.
Mitglieder nahezu aller Nationen Osteuropas und des Balkans, von Albanien bis zur Ukraine, von Kasachstan bis zur Krim und natürlich aus allen Regionen des untergegangenen Kaiserreiches kamen hier für ein paar Stunden zusammen.
Oben gab es Zimmer, in denen frisch angekommene Au Pairs untergebracht waren, bevor sie zu ihren Gastfamilien zogen oder wohin auch immer. Der Hospodar (ein Wort aus dem Slawonischen, das Herr oder Meister bedeutete) importierte das Bier direkt, Gambrinus und Pilsner, zu 2,00 und 2,50 Pfund. Es hatte etwas von einem Irrenhaus, aber auch von einem Paradies.
Dann, an einem Sonntagmorgen im zeitigen Frühling, kam der Anruf … aus Hollywood. Genau genommen aus West Hollywood, wo Nikolaus lebte, ein Freund aus der Volksschule, der gerade sein Musikstudium in Berkley’s abgeschlossen hatte. Es war ihm gelungen, einen Job bei einer Produktionsfirma zu bekommen, die gerade einen Film drehte, und er fragte, ob ich rüberkommen wolle.
Die Stadt der Engel empfing mich mit Nieselregen und einem Himmel voller Abgase, sonst aber gar nicht so übel mit angenehmen Temperaturen, Palmen und meinem ersten mexikanischen Essen inklusive einem authentischen Schwips von Corona und Tequila.
Es fühlte sich gut an, und wir begannen gleich am nächsten Morgen mit der Arbeit. Wir hatten den Auftrag, ein Tonstudio für den Soundtrack des Films aufzubauen, den sie gerade produzierten. Es sollte im Wohnsitz des Produzenten, einer protzigen Villa in den Hollywood Hills, installiert werden. Wir kreuzten also dort auf, bereit, sofort loszulegen – aber niemand von den Leuten, die auf dem Gelände rumhingen, hatte eine Ahnung, was überhaupt gemacht werden sollte. Es gab viel Geschrei am Telefon und lebhafte Diskussionen, aber keinen Plan.
Also machten wir, was wir konnten, mit dem, was wir vorfanden, und verschwanden dann wieder. An diesem Abend wurden wir in einen Club in Compton eingeladen, wo ich versehentlich fast Rassenunruhen ausgelöst hätte. Ich war einfach nur nett zu einer Afroamerikanerin – aber im falschen Stadtteil. Mein Fehler, den ich schon im Big Apple gemacht hatte, war, dass ich unbedarft die Rassentrennlinie überschritten hatte, weil ich mir nicht darüber im Klaren war, dass der „Schmelztiegel“ einmal ordentlich umgerührt gehört hätte.
Am nächsten Tag wurden wir darüber informiert, dass die Produktion auf unbestimmte Zeit unterbrochen worden war. Es wurde kein Grund genannt, aber die Verantwortlichen bezahlten uns weiterhin unser volles Honorar. So fand ich mich wieder mit jeder Menge Zeit zum Verbummeln und Geld zum Verbrennen und fragte mich, was ich damit anfangen könnte. L.A. aber hatte mir nichts Faszinierendes mehr zu bieten.
Da blitzte die plötzliche Erinnerung an einen Moment in London auf: Ich stand am Fenster und packte das Weihnachtsgeschenk von Tamara, meiner Freundin aus Sarajevo, aus. Es war ein Traumfänger, einer dieser „indianischen“ Gegenstände, die schlechte Träume abhalten und einen beschützen sollten. Ein Drahtkreis mit einem Netzgeflecht in der Mitte, dekoriert mit Perlen und behängt mit ein paar Federn.
Die Leute hängen diese Dinger an ihre Fenster, ins Schlafzimmer oder ins Auto. Ich habe diese Art von Gegenständen nie gemocht, aber dieser hier war schön gearbeitet und gar nicht kitschig. Ich drehte ihn um und bemerkte ein Etikett, auf dem stand: Handarbeit aus Taos, New Mexico.
Ich hatte mich gefragt, ob ich diesen Ort eines Tages besuchen sollte, und es dann wieder vergessen. Jetzt aber, ein paar Monate später, im Innenhof eines Wohngebäudes in West Hollywood sitzend, war das nächste Ziel damit klar.
Fortsetzung folgt …
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake
Credits
Image | Title | Autor | License |
---|---|---|---|
Hollywood ruft | Sörn | CC BY-SA 2.0 |