Achtsamkeit im Alltag
Schon lange verzehrte mich der ungesunde Gedanke, dass das Leben eine Reihe sich wiederholender, unvermeidbarer Handlungen sei. Ich fürchtete alles, was Routine implizierte (z.B. die Routine, über etwas zu trauern oder auch Hausarbeit) oder irgendwelche Aktivitäten, von denen ich glaubte, dass sie mir nichts Neues bringen könnten, und sah diese nur als Mittel zum Zweck (z.B. Gehen/Pendeln oder Warten).
Mit der Zeit verstärkte sich dieser üble Zustand und fühlte sich an wie ein Strudel, der mich tiefer und tiefer hineinzog. Depressionen begannen zu wachsen, und das Ganze eskalierte schneller als erwartet; eines Tages wurde mir klar, dass es sehr wenige Dinge gab, die ich an einem normalen, ereignislosen Tag genossen habe. Ich begann damit, das eine oder andere zu tun, das ich täglich genießen konnte, oder etwas Neues auszuprobieren. Das war aber nicht immer möglich, und ich fühlte mich bald erschöpft.
Auch unser Selbst entwickelt sich ständig weiter. Wir denken vielleicht, dass unser Verstand das Gleiche wie gestern empfindet und unsere Körper gleich aussehen, aber in beidem finden sekündlich Veränderungen statt. Diese Veränderungen sind nicht immer dramatisch, und wir müssen manchmal einfach nur genauer hinsehen, um sie auch zu erkennen. Hier sind zwei grundlegende Beispiele dafür, wie ich mein Bewusstsein für Geist und Körper schärfen konnte, indem ich Achtsamkeit in meinen Alltag integrierte:
Morgenroutine – eins nach dem anderen
Ich war daran gewöhnt, aufzustehen und aus dem Bett zu hetzen. Man hüpft unter die Dusche, während man sich darum bemüht, die richtige Wassertemperatur einzustellen. Man wäscht sich, und gleichzeitig treibt einen der Verstand schon zur nächsten Aufgabe. Man putzt sich vollautomatisch die Zähne. Man zieht sich etwas an, schnappt sich einen Happen aus dem Kühlschrank und stürzt zur Tür hinaus.
Neues Ich: Ich wache auf und nehme mir einen Moment Zeit, um meinen Körper beim Aufwachen zu beobachten. Ich stehe auf und nehme darauf Rücksicht, wie sich mein Körper und Geist an diesem Morgen fühlen. Ich gehe ins Bad und stelle die richtige Temperatur für die Dusche ein. Genieße es! Ich fühle das Wasser, das an meinem Körper herabfließt, nehme den Duft des Duschgels wahr, höre dem Plätschern des Wassers zu und achte auf die Menge an Wasser, das ich benutze.
Dann fange ich an, meine Zähne zu putzen, und achte dabei auf die Bewegung der Hand und welche Muskeln ich dafür einsetze. Dann bemerke ich, wie meine Mundhöhle mit der Zahnbürste interagiert. Ich fühle die Textur und den Geschmack meiner Zahnpasta und denke darüber nach, welche Empfindungen sie erzeugt. Ich gehe zum Schrank und suche mir etwas aus, das zu der Stimmung passt, die ich hatte, als ich aufstand. Bevor ich es anziehe, fühle ich den Stoff und beobachte, wie meine Haut darauf reagiert. Ich gehe zum Kühlschrank, bereite mein Frühstück vor und nehme mir Zeit dafür, es auch zu genießen.
Achtsames Gehen
Altes Ich: Früher hätte ich mich gerne von einem Ort zum nächsten gebeamt und wollte möglichst wenig Zeit damit verschwenden, von Punkt A nach Punkt B zu gehen. Dazu setzte ich mir einen Kopfhörer auf und raste im Power-Walking-Tempo zum nächsten Ziel – ohne Rücksicht auf meine Umgebung und auf vorbeikommende Menschen.
Neues Ich: Ich habe jetzt das Bedürfnis, von A zu B zu gehen, in eine angenehme Erfahrung verwandelt. Ich begann damit, dass ich auf die kinetische Empfindung achtete, die mein Körper beim Gehen erfährt.
Danach begann ich, mich umzusehen. Ich las die Körpersprache der Menschen und ihre Mimik und dachte darüber nach, welchen Einfluss das auf mich hat. Als Nächstes achtete ich auf die Häuser und auf die Natur rund um mich und wie sehr ich mich dadurch, dass ich hauptsächlich von Beton umgeben war, anders fühlte als damals, als ich von der Natur umgeben war. Ich beobachtete nun die akustischen Reize und überlegte, ob mich der Lärm im Straßenverkehr, das ständige Plaudern und andere Hintergrundgeräusche stressten, ablenkten oder müde machten. Ich analysierte, wie mein Körper auf die Außentemperatur reagierte oder wie sich Sonne und Regen auf meiner Haut anfühlten.
Nachdem ich diese Übungen gemacht hatte, fühlte ich, dass die Taubheit, in die ich mich trieb, allmählich verblasste. Ich meine damit nicht, dass sich alles wie durch ein Wunder auflöste, aber die Übungen haben mir geholfen, ein paar Farben inmitten der vielen Grautöne zu erkennen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich daran gewöhnte, und ich stehe immer noch am Anfang dieser Reise, denn es gibt noch viele Dinge, die es zu lernen gilt.
Es ist nicht ganz einfach, und ich bin mir bewusst, dass es in der schnellen Gesellschaft, in der wir leben, sehr leicht ist, sich ablenken zu lassen. Aber versuche es einmal und bemühe dich in den ersten paar Wochen, mindestens eine Aktivität zu integrieren, und du wirst bald feststellen, dass das ganz mühelos ablaufen kann. Außerdem ist es kein Muss, es täglich und über den gesamten Tag hinweg zu praktizieren; auch ich selber mache das nicht. Höre auf deinen Körper. Finde deine eigene Balance und integriere die Übungen auf eine Art und Weise, die zu dir passt und dir dabei hilft, den größten Nutzen daraus ziehen zu können.
Bleib gesund. Bleib glücklich.
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Wasserfall_in_Nanital | Kumarnilesh | CC BY-SA 4.0 |