Das Leben eines Trägers
Als wir um etwa 7 am Morgen aufwachen, beginnen wir, uns auf die Reise nach Tengboche vorzubereiten. Zuerst ist der Weg angenehm und flach, windet sich um den Berg und bietet einen großartigen Ausblick auf Umgebung und Tal. Während der Wanderung sehen wir Mönche aus der entgegengesetzten Richtung auf uns zukommen, während einige andere Wanderer und Träger in dieselbe Richtung wie wir gehen. Außerdem treffen wir viele Yaks, die Waren transportieren. Es ist das allererste Mal, dass ich ein Yak sehe – und die Tiere sind sogar interessanter, als ich gedachte hätte: unglaublich groß und stark, mit langem Haar, so dass es auf dieser Höhe gut überleben kann, sogar im Winter.
Unser Bergführer meint, wir sollten zur Seite gehen, da die Tiere manchmal außer Kontrolle geraten und gefährlich werden können. Kurz nachdem wir die Stadt verlassen haben sehen wir eine große Ansammlung von Menschen, die alle ein Schild betrachten. Selbst neugierig geworden, was wohl dort steht, nähere ich mich langsam und beginne zu lesen: Ein älterer Mann, er heißt Pasang, bittet um Spenden, da er (freiwillig) seit 40 Jahren just den Weg pflegt, den wir beschreiten. Wir sind sehr dankbar für seine wundervolle Arbeit, daher drücken wir unsere Dankbarkeit aus, indem wir einen kleinen Beitrag anbieten.
Bevor wir zum Mittagessen anhalten, müssen wir wieder eine Hängebrücke überqueren. Nachdem ich meine immense Höhenangst schon zwei Tage zuvor habe überwinden müssen, ist das kein großes Problem mehr für mich. Nach einiger Zeit, gleich nach dem Mittagessen, ändert sich das: Wir müssen einen wirklich hohen Berg besteigen, und unser Bergführer sagt, dass wir dafür etwa drei Stunden oder mehr brauchen würden. Ich habe immer noch den Eindruck, er scherzt, daher mache ich mir vorerst keine Sorgen.
Die Sonne ist sehr stark, und obwohl wir gestern einen Tag Pause einlegten, fühle ich mich erschöpft – vielleicht ist es die Höhenluft? Als wir aufsteigen, halten wir oft an und machen viele Stops auf dem Weg. Irgendwann erzählt mir ein Inder aus meiner Gruppe, dass wir jetzt auf einer Höhe von 3700 Metern seien und mir wird bewusst, dass ich mich niemals zuvor auf einer solchen Höhe begeben habe (mein höchster Punkt lag bei 3.500 Metern). So weit, so gut – noch keine Symptome, aber ich bin bereits neugierig, wie die Höhe uns später am Abend beeinflussen würde.
Auf meiner Wanderung nach Tengboche, und während einer meiner vielen Pausen, sehe ich einige Träger, die schwere Lasten tragen – manche haben vier Rucksäcke auf einmal – und in dieselbe Richtung unterwegs sind wie wir. Ich nutze die Chance und rede mit ihnen, da ich sehr neugierig bin was ihr Leben betrifft und mich es einfach interessiert, wie sie das alles zu bewältigen vermögen.
Die nun folgenden Videos zeigen, wie ich mit ihnen konversierte:
Als wir endlich die Spitze erreichen, sind wir sehr happy – es war schließlich ein anstrengender Weg, und ich konnte mittlerweile meine Finger aufgrund der Kälte kaum noch spüren. Die Temperatur hat sich wegen des dichten Nebels geändert. Zudem ist es unmöglich zu erkennen, was sich mehr als ein paar Meter vor einem befindet. Sofort gehen wir zum Gasthaus, um uns mit Milchtee aufzuwärmen. Nach einer Auffrischung schauen wir uns die Umgebung an und sehen ein majestätisches Kloster sowie „die Deutsche Bäckerei“.
Das Tengbochekloster ist sehr wichtig, da alle Leute (Bergführer, Träger und Bergwanderer) dieses Kloster besuchen, bevor sie den Mt. Everest besteigen. Sie beten für Glück und um Vergebung, da der Mt. Everest als heiliger Berg angesehen wird (um mehr über dieses Thema zu lesen, klicke auf folgenden Link: The highest mountain on earth – Holyness or working place). Wir gehen in Richtung Bäckerei, welche – unter den vereinten Bäckereien – bekannt als die höchstgelegene Bäckerei der Welt ist, und kaufen ein paar der köstlichen aber auch ziemlich teuren Kuchen, die sie dort anbieten. – Der Schokoladenkuchen ist ein wahrer Genuss!!
Als wir gerade mit dem Essen fertig sind, hören wir Sprechgesang und fragen die Einheimischen. was es bedeutet. Der Bäcker erzählt uns, dass das Nachmittags-Puja (buddhistisches Gebetsritual) gerade beginne, und der Sprechgesang eine Einladung für alle in das Kloster ist (der Sprechgesang ist in seiner Bedeutung also mit den Kirchenglocken im Christentum zu vergleichen). Langsam begeben wir uns zum Kloster. Als wir ankommen, hat das Puja bereits begonnen, und wir müssen beim Reingehen sehr leise sein. Nun setzen wir uns nieder und versuchen, gemeinsam mit den Mönchen zu meditieren.
Manche von ihnen spielen Instrumente, wie z.B. Gyaling (hölzerne tibetanische Trompete), Drillbu (Handglocken) und Silnyen (Zimbel) während andere nur Töne mit ihrem Mund erzeugen. Die Musik soll einen friedlichen Bewusstseinszustand kreieren um Götter herbeirufen zu können. Sobald das Puja beendet ist, gehen wir zurück zum Gasthaus und bemerken, dass die Inder (drei Inder haben wir auf dem Wanderweg getroffen) in der Zwischenzeit angekommen sind.
Es ist bereits dunkel draußen, und ich bin wirklich beeindruckt, dass sie so spät noch hier hinauf gekommen sind, zumal die Temperatur stark gefallen ist. Da wir uns entlang der Strecke immer wieder über den Weg laufen, verbringen wir nun gemeinsam einen angenehmen, entspannten Abend am Kamin im Hauptraum des Teehauses. Ein oder zwei Personen aus unserer Gruppe haben aufgrund der Höhe mit leichten Kopfschmerzen zu kämpfen und gehen früh zu Bett. Obwohl ich keinerlei Symptome habe, nehme ich Diamox (diuretisches Medikament, welches bei Symptomen der Höhenkrankheit hilft) zur Prophylaxe.
Während wir alle im Hauptraum entspannen, finden wir heraus, dass eine chinesische Frau im gleichen Raum anwesend ist, die den Mt. Everest bereits sogar zweimal bestiegen hat und dem Kloster von Tengboche eine enorme Spende übergab. Wir versuchen wirklich, mit ihr zu reden, da wir eine Millionen Fragen haben. Aber leider ist dies aufgrund der Sprachbarriere nicht möglich.
Ich wache auf, als das Sonnenlicht in mein Zimmer fällt. und sobald ich einen Blick aus dem Fenster werfe, bin ich VERZAUBERT: rundherum riesige schneebedeckte Berge! Es fühlt sich an, als träumte ich noch. Gestern konnte ich wegen des Nebels nichts sehen, dennoch hätte ich mir nie vorstellen können, dass mich ein derartig traumhafter Ausblick nach dem Aufstehen erwarten würde – es ist so wunderschön und perfekt, dass es unwirklich sein musste. Da ich befürchte, dass der Nebel die gute Aussicht wieder ruinieren könnte, greife ich, ohne mich überhaupt umzuziehen oder Zähne zu putzen, meine Jacke, ziehe die Schuhe an (ohne die Schnürsenkel zu binden), erhasche meine Kamera und renne nach draußen.
Und nicht einmal 10 Minuten später beginnen sich Wolken zu bilden und bedecken den Himmel – schließlich beginnt die Monsunzeit bald.
Ich bin überaus glücklich, dass ich so früh aufgewacht bin und Zeugin dieses atemberaubenden und überwältigenden Ausblicks werden konnte. Nach dem Frühstück gehen wir ein weiteres Mal zum Kloster für das Morgen-Puja, und dann sind wir auch schon wieder auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel:
Dingboche, einen Schritt näher am Everest Basislager.
Übersetzung ins Deutsche: Hannah Kohn
[…] (aus „Das Leben eines Trägers„) […]