„DiEM25“ – Wien: Die „Flüchtlingskrise“ und die Hoffnung auf paneuropäische Lösungen
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 5. 5. 2016
- Veranstalter
- DiEM25
- Ort
- Werk X
- Veranstaltungsart
- Vortrag
- Teilnehmer
- Yannis Varoufakis, Politiker
Im Werk X in Wien, Meidling, fand am Donnerstag, den 5. Mai 2016, ab 19 Uhr, das erste Groß-Event von „DiEM25“ statt. Im Zentrum der Debatte: “Europe’s duty to the refugees – Europe’s duty to itself.”
Yannis Varoufakis, der griechische Ex-Finanzminister, führte zentral durch den Abend und rief zu mehr Stärke und Mut, sowie zum Mut zur Erkenntnis auf: Zäune und Grenzen sind laut Varoufakis politisch schwache Mittel: „Mit den Mauern, die wir errichteten, zeigen wir unseren Mangel an Selbstwertgefühl.“ Er ruft auf, anstelle von Zäunen vielmehr Brücken zu bauen und zitiert Noam Chomsky: „Die Reichen und Mächtigen kreieren die Krise. Die Schande sitzt tief. Und hält an.“
Die Art und Weise, wie wir Fremde behandeln, sei ein „Lackmus“-Test für unsere Gesellschaft, so der griechische Wirtschaftsexperte: Daran könne man messen, ob Menschen als Individuum, als Gemeinschaft und als Staat erfolgreich seien. Varoufakis sieht die Staaten Europas in einer „tiefen Krise“, die zur Desintegration geführt hätte; herbeigeführt durch falsche Entscheidungen, die in Brüssel oder Frankfurt getroffen wurden und zu immer mehr Zerrissenheit geführt hätten.
Der Lackmus-Test wurde laut Varoufakis nicht bestanden, wie am Umgang der europäischen Staaten mit syrischen Kindern, Menschen aus Pakistan, Afghanistan oder Ghana zu erkennen sei.
Die Ereignisse von Paris im November 2015 hätten „zur Rückkehr der Xenophobie geführt“, so Varoufakis, denn nun sehe man vor allem „Terroristen in den Menschen, die zu uns kommen, man hätte sich auf „das Andere“, nämlich die Bedrohung, fixiert. „Es gibt keine Krise in Europa“, betont Varoufakis, denn die wahre Krise befindet sich in der Türkei, in Jordanien, im Libanon, im Irak sowie in Syrien. „Die Flüchtlingskrise ist Ausdruck einer Desintegration der Europäischen Union“, betont der vormalige griechische Finanzminister und warnt vor einer gefährlichen Wiederholung der europaweiten Seuchen, die sich im vorigen Jahrhundert abspielten: Misanthropie, Xenophobie und Nationalismus.
Die Fakten, dass die österreichische Bundesregierung kurz vor der Wahl des Bundespräsidenten an ihren Außengrenzen Zäune errichtet und es an der Brennergrenze scharfe Kontrollen bis hin zur Schließung geben solle, kommentiert Varoufakis so: „Eine derartige Stimmenjagd zu veranstalten, Grenzzäune zu errichten und die internationale Flüchtlingskonvention zu verletzen, ist das letzte Mittel jener Politiker, die dazu bereit sind, die Integrität ihrer Nation für ihre eigenen jämmerlichen Ziele zu opfern.“
Varoufakis meint zudem, dass Österreich Jahrzehnte bräuchte, um sich zu einem „Leuchtturm des humanistischen Zusammenlebens“ zu entwickeln. Die Zahl der Xenophoben wüchse, und die Regierung hätte dieses Image innerhalb von nur wenigen Tage aufs Spiel gesetzt. Nun müsse sie verständlicherweise dem österreichischen Volk Rede und Antwort stehen, ist sich der frühere griechische Finanzminister bewusst.
Im Laufe des Abends gab es Round-Table-Diskussionen zu folgenden Themen: Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus, Kapitalismus und Migration sowie Solidarität und offene Grenzen. Im Rahmen der Publikumsveranstaltung soll eine paneuropäische Debatte lanciert werden, aus der ein „White Paper“ zu Flüchtlingen, Migration und Solidarität entsteht.
DiEM25 heißt übrigens „Democracy in Europe Movement“; die Zahl„25“ steht für 2025 und meint das Jahr, in dem es „Vereinigte Staaten von Europa“ geben soll. 2025 müsse also die „europäische Demokratie“ verwirklicht sein. DiEM25 basiert auf den Ergebnissen, die im März 2016 in Rom erzielt wurden: Dort fand die europaweite Kampagne „Transparenz in Europa JETZT!“ statt. Am 9. Februar 2016 in Berlin gegründet, ist DiEM25 am besten Wege, binnen kürzester Zeit zu „der“ einflussreichsten europäischen Initiative zu werden, die in Zusammenarbeit mit zahlreichen politischen AkteurInnen, sozialen Bewegungen und Europäischen DemokratInnen FÜR eine Demokratisierung der EU und GEGEN die Desintegration Europas kämpft.
Die Veranstaltung im Werk war gut besucht, und am gesamten Gelände waren AktivistInnen und interessierte BürgerInnen anzutreffen.
Die „Stars“ der Denkimpulse und Visionäre innerhalb der Debatten von heute Abend waren: Yannis Varoufakis, Saskia Sassen, Srećko Horvat, Fanny Müller-Uri, Erich Fenninger, Teresa Forcades, Sandro Mezzadra, Walter Baier, Katja Kipping, Lorenzo Marsili, Kristina Fanni, Alexandra Strickner, Cristina Soler-Savini.
Auszüge aus den Round-Tables:
Lorenzo Marsili sieht die „Welcome“-Bewegung im Allgemeinen als äußerst positive Kraft und weist darauf hin, dass wir sehr wohl „fähig“ seien.
Fanny Müller-Uri kritisiert heftig, dass das Versprechen der „Rechten“ in Österreich, nämlich für soziale Sicherheit zu sorgen, ganz sicher nicht gehalten werden würde und dass es leider keine Helden in Österreich gäbe.
Teresa Forcades, erzählt von Venezuela und meint, dass es immer um das Vertrauen des „einfachen Volkes“ ginge. Venezuela etwa hätte sofort Hilfe nach Gaza geschickt, und sei eines jener Länder, das bereitwillig syrische Flüchtlinge aufnehme. Was Syrien betreffe, schlägt Forcades vor, den Leuten Visa für zwei Jahre zu geben; der Großteil hätte Geld und könne somit für sich selbst sorgen. Die Schlepper verdienten nämlich große Summen und seien mit der türkischen Armee in Verbindung. „In Polen gibt es keine Flüchtlinge, aber zugleich herrscht dort die größte Angst vor Zuwanderung.“
Für Srećko Horvat ist der herrschende Kapitalismus hauptverantwortlich: Mit dem Kapitalismus fielen, laut Srecko, auch die Widersprüchlichkeiten. Mit den Menschen sei „Outsourcing“ betrieben worden, ein regelrechtes Export-Import-Geschäft, gleichermaßen mit Waffen und Geld. Genau das sei der Widerspruch, den es aufzulösen gilt. Weiters, so Srecko, sei nicht zu vergessen, dass die Flüchtlingskrise in Wahrheit im Pentagon gestartet wurde. In Zukunft müsse die geopolitische Situation stärker berücksichtigt werden. Er beruft sich auf die Novelle von Zweig „Die Welt von gestern“, in welcher der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges genau beschrieben wurde und betont, dass wir uns von unserem naiven Optimismus verabschieden und etwas ganz Anderes entstehen lassen sollen: nämlich Hoffnung.
Saskia Sassen meint, mit einem Schmunzeln, dass unsere Politiker wohl zu träge gewesen seien und ihre „Hausaufgaben“ nicht machten. Es sei an der Zeit, dass sie sich dahinterklemmten. „Wir müssen territoriale Gebiete errichten, die auch unsere sind“, nennt Sassen eine Ihrer Visionen.
Katja Kipping ruft dazu auf, keine „schmutzigen“ Deals mehr mit Diktatoren einzugehen und spricht sich vehement gegen militärische Lösungen aus. Die Kurden seien als wichtiger Akteur zu sehen, um das Problem zu lösen – ohne sie ginge gar nichts. Der Europarat würde auch von den völlig falschen Leuten regiert; die EU müsse sich erneuern. „Wir brauchen einen frischen Start“, meint Kipping. Und unsere Mitgliedsstaaten müssten sich politisch beteiligen. Im Rahmen Ihrer Überlegungen fordert sie, diejenigen Länder finanziell höher zu remunerieren, die auch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Als letzten Punkt, und da klatschte das Publikum tobend Beifall, empfiehlt Kipping, dass die Reichensteuer an die „Flüchtlingskrise“ angepasst werden sollte.
Zum Thema TTIP meint Kipping, dass dieses Abkommen unbedingt gestoppt werden müsse und ein Referendum dazu unbedingt vonnöten sei. Wir dürften die Situation insgesamt nicht allein den europäischen Eliten überlassen, ist sich die Parteivorsitzende der Partie „Die Linke“ sicher.
Sandro Mezzadra meint, es sei notwendig, eine neue Zukunft zu konstruieren, sowie eine neue geographische Struktur für ein neues gemeinsames Projekt zu schaffen.
Der Ex-KPÖ Chef Walter Baier betont, dass, um diese Misere zu bewältigen, es definitiv notwendig sei, aus der Geschichte zu lernen. Er bekrittelt die derzeitige Politik in Österreich und die Medien, die nämlich unnötigen und gezielten Lärm produziert hätten. „Wir müssen uns dagegenstellen“, so Baier. „Österreich ist kein Mitglied der Nato“, die österreichische Linke solle somit auf die Neutralität bestehen und es müssten Räume entstehen für künftige Kooperationen. Und die österreichische „Linke“ sieht Baier als komplett „renovierungsbedürftig“.
Diese Veranstaltung im Werk war ein Event, dem es gelungen ist, Perspektiven aufzuzeigen, die zu einer grundlegenden Reform von Europa beitragen könnten.
Lassen wir uns von dieser „Alle-Kraft-voraus“-Power tragen, zusammen aktiv werden und eines dabei niemals verlieren: die Hoffnung.