Gift als Belohnung

LebensweltenPädagogik neu gedacht

Während einige Eltern akribisch darauf achten, dass ihr Kind auf keinen Fall vor dem ersten Geburtstag irgendeine Speise zu sich nimmt, die mit Zucker oder Zuckerersatzprodukten künstlich angereichert ist, sieht man andererseits häufig Kinder im Kinderwagen – deutlich unter 12 Monaten – die schon Schlecker bzw Lollis oder Schokoladestückchen bekommen als Trost, wenn sie traurig sind, als Belohnung, wenn sie etwas sehr gut gemacht haben oder als Überbrückung gegen den kleinen Hunger.

Die einen belächeln Eltern, die ihren Kindern jegliches Süßes verwehren und halten sie für Helikoptereltern. Sie sehen das Zuckerbashing als einen vorübergehenden Hype, der sich demnächst wieder legen wird. Die anderen schütteln verständnislos den Kopf, wenn sie Kleinkinder sehen, deren Eltern sie mit Naschereien verwöhnen. Was ist nun dran an dem strikten Verbot von Süßigkeiten, das viele Eltern auch noch über den 1. Geburtstag hinaus einzuhalten versuchen?

Wer einen genaueren Blick darauf wirft, was in den Leckereien enthalten ist, wird die vermeintlichen Helikoptereltern und ihre Bestrebungen, diese Lebensmittel nicht (häufig) anzubieten, besser verstehen.

Zucker gibt Energie zum Denken
Zunächst einmal ein wichtiger Fakt: Unser Gehirn braucht Zucker und davon gar nicht wenig. Kinder auf Diät zu setzen, sie einseitig zu ernähren oder ihnen bestimmte Lebensmittel vorzuenthalten, sollte auf keinen Fall eigenmächtig von den Eltern entschieden, sondern immer mit einem Kinderarzt, der auf Ernährung spezialisiert ist oder einer Ernährungswissenschaftlerin abgesprochen werden.

Die meisten Diätologen empfehlen eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse und Obst, Rohkost, Getreide, etwas Fleisch und dann darf Süßes auch mal auf dem Speiseplan stehen. Dabei werden jene Produkte bevorzugt, die Dreifachzucker enthalten, beispielsweise Gebäck aus dunklem Mehl. Diesen aufzuspalten ist im Verdauungsprozess aufwändiger und benötigt mehr Zeit.  Auf diese Weise wird die Versorgung mit wichtigen Stoffen besser dosiert, die letzte Mahlzeit macht länger satt und gibt kontinuierlich Energie ans Gehirn ab.

Der Zweifachzucker hingegen geht fast sofort ins Blut und möchte schnellstmöglich abgebaut werden. Besonders bei jüngeren Kindern merkt man die Wirkung unmittelbar nach dem Verzehr von Süßigkeiten. Sie werden zu wahren Energiebündeln, hibbelig und zappelig, können sich kaum mehr auf eine Sache konzentrieren und brauchen viel Bewegung, um den Zucker wieder abzubauen. Außerdem werden sie recht bald wieder hungrig.

Es ist nicht unwesentlich zu wissen, dass Zweifachzucker nicht nur in raffiniertem – industriell verarbeitetem – Zucker vorkommt, sondern auch in Weizenprodukten, wie etwa bei den Kindern so beliebten Nudeln und Semmel bzw. Weißbrot. Wer sich mit dieser Thematik näher befassen möchte, findet Hintergründe und Erklärungen in den Büchern „Dumm wie Brot. Wie Weizen schleichend Ihr Gehirn zerstört“ von David Perlmutter im Mosaik-Verlag, 2014 zu dem es nun auch ein Kochbuch mit 150 Rezepten gibt und in „Weizenwampe: Warum Weizen dick und krank macht“ von William Davis im Goldmann-Verlag, 2013.

Glucose oder Saccherose? Alternative Süßungsmittel oder Zuckerersatz?
Wie bei anderen Lebensmitteln auch, ist es das Gesündeste, Produkte zu verwenden, die so wenig industriell behandelt wurden, wie möglich, denn raffinierte Zuckerprodukte begünstigen Übergewicht, Karies und Diabetes. Immer mehr Hobbybäcker steigen auf Kokosblütenzucker, braunen Zucker, Agavendicksaft, Dattelsirup oder Honig um.  Bei manchen Rezepten ein würdiger Ersatz, bei anderen aber der Grund, warum das Gebäck misslingt. Während man zu Hause herumexperimentieren kann, sind in gekauften Süßspeisen, Keksen und Naschereien Zuckerarten zu finden, von denen man besser die Finger lässt. Seit Oktober 2017 ist die in Amerika unter high fructose corn syrup bekannte Isoglukose auch in Europa zugelassen. Hierbei handelt es sich um eine Sirupart aus Maisabfällen. Sie ist extrem süß und extrem billig, was sie bei Produzenten extrem beliebt macht. Und sie ist extrem ungesund!


Die Menge macht das Gift
Während beim Thema Zucker bei manchen Eltern die Alarmglocken läuten, sind andere der Meinung, dass hier und da ein bisschen Süßes nicht so schlimm ist. Nicht aus ernährungswissenschaftlicher, sondern aus pädagogischer Sicht, bin ich der Meinung, dass es kaum möglich ist, sein Kind gänzlich von Naschereien fernzuhalten.

Auf fast jedem Kinderfest, das wir veranstaltet haben, gab es ein Kind, das zu Hause absolutes Süßigkeitenverbot hatte und während die anderen Partygäste Spiele spielten, nichts anderes zu tun hat als aus Kompensationsverlangen stundenlang Gummibärchen, Kekse und Schokoladestückchen in sich hineinzufuttern – buchstäblich bis zum Erbrechen.

In anderen Familien wiederum gibt es zwar Süßes, aber rationiert auf ein Stück pro Tag. Aus meiner Sicht ist das nicht optimal. Insofern nämlich, dass das Kind in diesem Fall daran gewöhnt wird, jeden Tag zu naschen. Zwar ist das Naschen in den ersten Jahren von den Eltern überwacht und immer nur eine kleine Portion, aber das Kind wird älter und entwächst irgendwann der elterlichen Kontrolle. Sich eine über so viele Jahre täglich genossene Gewohnheit abzugewöhnen kann sehr schwierig sein.

Als meine Kinder klein waren, hatten wir einen Naschkorb, der im Keller in erreichbarer Höhe stand. Daraus durften sie sich bedienen wann immer sie Lust und Laune hatten – einzige Ausnahme: Nicht unmittelbar vor den Mahlzeiten.

Anfangs hatte der Korb eine magische Anziehungskraft, aber schon nach wenigen Tagen als meine Kinder verinnerlicht hatten, dass die Süßigkeiten jederzeit erreichbar waren, wurde er immer uninteressanter. Während sie anfangs fast täglich in den Keller stapften, vergaßen sie in der zweiten Woche immer öfter darauf, nach einem Monat waren die Besuche im Keller nur mehr gelegentlich und schließlich hatte die selbstbestimmte Steuerung bei meinen Kindern den Effekt, dass wir die verschmähten Osterhasen im Dezember einschmolzen, um die Weihnachtskekse mit Schokolade zu verzieren. Heute isst mein Sohn Süßes überhaupt nicht mehr und meine Tochter nur gelegentlich.

In England zeigt die Zuckersteuer Erfolge
In den vergangenen sechs Jahren, seit in England eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke eingeführt wurde, reduzierte sich laut einer Studie die Limonadenkonsumation der Kinder um die Hälfte. Es ist schade, dass für einen bewussten Umgang mit Ernährung monetäre staatliche Kontrollmechanismen erforderlich sind, wenn es doch so leicht ist, Wasser mit Geschmack selbst herzustellen, indem man mit Gewürzen, Obst oder Gemüse und Kräutern experimentiert und außerdem ein Heidenspaß für die ganze Familie, wenn jeder sein eigenes Wasser kreieren darf. Die Highlights bei uns zu Hause sind Himbeere – Zitrone – Zitronenmelisse, Orange – Zimt – Lavendel und Gurke – Ingwer – Wachholderbeeren. Alle ganz ohne Zucker aber mit erfrischenden Vitaminen und im Sommer mit ein paar Eiswürfeln, Schirmchendeko und Strohhalm. Auch ein oder zwei Tropfen ätherische Öle in höchster Qualität verleihen dem Trinkwasser einen angenehm frischen Geschmack, etwa Grapefruit oder Pfefferminze.

Werden Kinder von Anfang an an reines Wasser oder selbstgemachte Durstlöscher gewöhnt, sind ihnen gekaufte Limonaden häufig zu süß. Sehr zum Leidwesen zweier Industrien: Im hier verlinkten Interviewshort betont der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach wie von den Auswirkungen der Profite des Milliardenmarkts für Zucker in weiterer Folge ein paar Jahre später der Milliardenmarkt für pharmazeutische Produkte profitiert.

Wenn Du nach all diesen Informationen überlegst, Deinen Zuckerkonsum bzw. den Deiner Familie Schritt für Schritt zu reduzieren, gibt es viele Bücher und Websites, in bzw.  auf denen Du gute Tipps für den Start in ein zuckerreduziertes Leben für Dich und Deine Familie finden kannst. Bei Deinem Kind kannst Du ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der richtigen Ernährung mit dem Bilderbuch „Jonas und die Zucker-Rakete“ von Christina Lachkovics-Budschedl und Bettina Kumpe wecken.


Was sich in Süßigkeiten sonst noch finden lässt
Als 2023 einige Arten von Insekten von der Europäischen Union als Lebensmittel freigegeben wurden, ging ein Aufschrei durch große Teile der Bevölkerung. Den meisten Menschen ekelt es vor Insekten und das mit gutem Grund. Wären die Krabbeltiere auf unserer natürlichen Speisekarte, hätten sie vermutlich Hungersnöte erleichtern können, aber wenn wir Menschen etwas nicht essen wollen, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass es unserem Körper nicht guttut. Deshalb hält sich unsere Begeisterung auch bei Holz oder Gras in Grenzen, wir haben schlichtweg nicht die nötigen Enzyme, um diese Stoffe zu verdauen, auch wenn die Idee Menschen von Gras zu ernähren gerade in eine EU-Testphase gegangen ist. Hingegen machen ein paar hübsche Gänseblümchenköpfe als Dekoration in einer Cremesuppe oder bunte Stiefmütterchen und Löwenzahn im Salat Lust hineinzubeißen, weil sie Vitamine haben, die uns guttun.

Aber zurück zu den Insekten, denn sie werden ohnehin schon seit Jahren in den Produkten namhafter Hersteller verarbeitet. Wer kein Fan von Krabbeltieren ist und auf diese neue Art von Ernährung lieber verzichtet, muss die Kennzeichnung genau beachten, weil zwar Insekten in der Schokolade oder den Keksen angeschrieben sein müssen, allerdings werden dabei in der Regel die lateinischen Namen verwendet, die ein Großteil der Bevölkerung nicht kennt. Wer nicht unwissentlich Käfer und Würmer verspeisen möchte, sollte bei folgender Kennzeichnung hellhörig werden:

  • Hinter tenebrio molitor versteckt sich der Gelbe Mehlwurm, der im Ganzen, getrocknet oder in Pulverform beigemengt sein kann.

  • Die locusta migratoria, auf Deutsch Wanderheuschrecke, darf nur ohne Flügel und Beine verwertet werden, und zwar gefroren, getrocknet und pulverisiert.

  • Die acheta domesticus verwendet man im Ganzen aber auch gefriergetrocknet und ebenso als Pulver. Es handelt sich hier um die Hausgrille.

  • Und seit Jänner 2023 wurde das Angebot um den alphitobius diaperinus erweitert, dessen Name, wenn man ihn versteht, besonders appetitanregend klingt: Getreideschimmelkäfer

Selbst wenn man dem Motto folgt „Ein echter Gourmet schreckt vor keinem Geschmackserlebnis zurück“, so ist besonders für jene Menschen bei Insekten Vorsicht geboten, die auf Schalentiere allergisch reagieren. Sie vertragen in der Regel das Chitin von Käfern auch nicht. In solchen Fällen kann die Konsumation von Insekten lebensbedrohend sein!

Wem nun bei all den leckeren neuen Lebensmitteln die Wahl schwerfällt, dem wünsche ich einen „Guten Appetit!“ und „Wohl bekomm’s!“ Ich persönlich halte mich lieber an die Faustregel „Iss nichts, was Deine Urgroßmutter nicht auch als Lebensmittel erkannt hätte!“

Übrigens: Wenn ein Kind, das Dir sehr am Herzen liegt, zu rundlich ist, muss das nicht unbedingt an der Ernährung liegen. Wenn es einen hypotonen Muskeltonus hat, ist seine Verdauung träge, sein Bewegungsbedürfnis deutlich reduziert, dafür sein Schlafbedarf meistens eher hoch. Dann musst Du es nicht mit Ernährungsvorschriften quälen und ihm jede Leckerei verwehren, sondern ich empfehle Dir die Rota-Therapie ausprobieren, bei der Du seine Tonusregulation durch einfachen Liege- und Drehpositionen aktivieren kannst, die das Zentrale Nervensystem anregen. Mehr dazu erfährst Du bei einem Rota-Therapeuten oder einer Rota-Prophylaxeanwenderin in Deiner Umgebung.

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