Der Weisheit letzter Schluss – Hitzige Debatten
Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 2/24
„The smart way to keep people passive and obedient is to strictly limit the spectrum of acceptable opinion, but allow a very lively debate within that spectrum – even encourage the more critical and dissident views. That gives people a sense that there’s free thinking going on, while all the time the presuppositions of the system are being reinforced by the limits put on the range of debate.“
Diese Feststellung Noam Chomskys, die in seinem Buch „The Common Good“ zu finden ist, trifft den Nagel auf den Kopf. Was müssen wir uns nicht alles für hitzige Diskussionen anhören, bei denen gesellschaftlich und politisch gesehen Peanuts verhandelt werden – und die wirklich wichtigen, weil existenziellen Themen in den Hintergrund oder sogar ganz aus dem Debattenraum gedrängt werden.
Kürzlich kursierte auf Twitter (X) ein Posting, dass auf die Aussage hinaus lief, dass die Klimakleber zwar den einfachen Autofahrer mit ihren Aktionen schikanierten, in Davos, wo aktuell das Weltwirtschaftsforum tagt, aber keinerlei Aktion gegenüber den „Mächtigen“ stattfinde. Es folgte eine lebhafte Debatte auf einen Kommentar des Journalisten Thomas Oysmüller, der sich dazu so äußerte: „… das ist nicht fair. Im Gegensatz zum einfachen und blöden Arbeiter, der von den Klimaaktivisti aufgehalten wird, kennt man in Davos kaum ein wichtigeres Thema als die Klimakatastrophe.“ Womit wir bei einer der prominentesten gesellschaftlichen Debatten der Gegenwart wären, die zum einen völlig einseitig verläuft und zum anderen die daraus resultierenden und von den Regierenden geplanten „Maßnahmen“ und ihre Folgen für die Menschheit völlig übersieht. Vergessen dürfen wir dabei nicht, dass die CO2-Eindämmung, die schlechthin als DAS Mittel zur Rettung Welt dargestellt wird, nur die Einzelnen betrifft, während ein wesentlicher Teil der Akteure in diesem Spiel Ablass erhält, in dem man sich mittels so genannter CO2-Zertifikate von seinen „Umweltsünden“ freikaufen kann. Wenn es tatsächlich um den Schutz der Umwelt ginge, müsste ein völlig anderes Bewusstsein über unsere Rolle als Spezies Mensch im Biotop Erde in die Köpfe der sich nun – zumindest in der veröffentlichten Meinung – akut bedroht fühlenden Menschheit einziehen. Der Biologe und Philosoph Andreas Weber hat dazu wertvolle und wesentliche Bücher geschrieben, indigene Kulturen uns mit ihrer ursprünglichen Sicht und Lebensweise, die allerdings viel zu oft durch Inkulturation und Alkohol, in Reservaten endend, platt gemacht wurde, wertvolle Hinweise auf ein nachhaltiges Leben auf unserem Planeten gegeben. Aber wir diskutieren und debattieren lieber auf die oben angeführte und von Chomsky treffend erkannte eingeschränkte Weise.
Von diesen Einschränkungen auf gehypte bzw. erlaubte Themen sind auch die Medien betroffen. Nun ist es nicht so, dass jene Journalisten, die der Gegenöffentlichkeit Raum geben, in ihren Beiträgen alle Sichtweisen zu einem Thema berücksichtigen; sie liefern aber ein wichtiges Korrektiv – immer wieder mal durchaus einseitig, aber deswegen nicht weniger notwendig. Auch hier gilt es natürlich, sich nicht bloß auf eines dieser unabhängigen Medien zu verlassen, sondern sich verschiedener Publikationen zu bedienen, um sich ein Gesamtbild verschaffen zu können, auf dessen Basis dann eine eigene Meinung entstehen kann. Report 24 ist eine der seit den C-Zeiten bekannt gewordene Online-Plattform, die sich der „alternativen“ Sichtweise auf die aktuellen Themen verschrieben hat. Deren Chefredakteur Florian Machl sah sich mit einer Klage seitens des österreichischen Staatsoberhaupts konfrontiert. Anlass war seine Aussage, dass der Bundespräsident die Verfassung mit Füßen getreten habe, weil er alle von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen der „Pandemie-Bekämpfung“ – auch jene, die sich nachträglich als verfassungswidrig herausgestellt haben – vermeintlich „durchgewunken“ hat. Nun wurde Machl auch in zweiter Instanz von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen frei gesprochen. Dem Staatsoberhaupt steht demnach kein besonderer Schutz in Sachen Meinungsfreiheit zu.
Die in der Vorwoche gestarteten Bauernproteste in Deutschland, in deren Rahmen Straßenblockaden und weitere zahlreiche Verkehrsbehinderungen stattgefunden haben, stoßen laut einer Umfrage des deutschen MDR dennoch auf große Zustimmung. Grundlage für die Wut der Landwirte sind die von der deutschen Regierung geplanten Kürzungen bzw. Streichungen von Unterstützungsleistungen für diese Bevölkerungsgruppe. Die breite Zustimmung zu diesen Aktionen ist wohl auch darin begründet, dass die Bevölkerung in unserem Nachbarland die seit Ende 2021 amtierende Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP reichlich satt hat. Die allgemeine Stimmung im Land ist äußerst schlecht. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn man die Proteste einem Framing unterzieht und sie den Rechten in die Schuhe schiebt bzw. von einer Unterwanderung durch die rechte Szene spricht. Tatsächlich nutzen die Populisten alle Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, um die Regierung zu Fall zu bringen und selbst die Macht zu übernehmen. Ihr Vorteil ist es aktuell noch, dass sie nichts beweisen müssen, sondern auf allen Kanälen auf die durchaus vorhandenen und nicht selten schwerwiegenden Missstände hinweisen können.
In Österreich hat sich dieser Tage eine Initiative namens „Freie Bauern NÖ“ (Beitrag hinter der Bezahlschranke) mit einem Aufruf zu einer Demo am kommenden Wochenende in Wien zu Wort gemeldet. Dahinter soll ein FPÖ-Abgeordneter stehen, der ankündigte, damit den Ballhausplatz lahmlegen zu wollen. Der Präsident des VP-Bauernbunds, Georg Strasser, sagt dazu den Oberösterreichischen Nachrichten: „Die bäuerliche Seele ist zwar wegen der vielen Auflagen getrübt. In Österreich haben wir aber mehr finanzielle Unterstützung erreicht, während in Deutschland gekürzt wird.“
Dass die Bauernschaft tatsächlich sehr oft vor existenziellen Problemen steht, ist allerdings auch in Österreich unbestritten. Vor allem kleine und mittlere Betriebe kämpfen ums Überleben und das ist nicht bloß den Maßnahmen der Regierung geschuldet, sondern auch den Lebensmittelmärkten und uns Konsumenten. Billige Ware führt dazu, dass der Lebensmittelhandel die Bauern oft unter deren Produktionskosten bezahlt, um selbst bei diesen Angeboten noch eine Gewinnmarge einzufahren. So ist mir vor kurzem aus verlässlicher Quelle zu Ohren gekommen, dass Winzer ihren Wein an eine Supermarktkette verkaufen, ohne den tatsächlichen Preis zu erfahren. Abgerechnet wird dann, wenn alles verkauft ist und klar ist, wieviel der Diskonter damit verdient hat. Geködert wird man anfangs aber mit guten Preisen, um dann recht schnell bittere Erfahrungen wie die geschilderten zu machen. Diesen Praktiken einen Riegel vorzuschieben wäre das wichtigere Anliegen, als Betriebe staatlich zu subventionieren.
Der Wahlkampf in den USA hat am vergangenen Dienstag mit den Vorwahlen der Repubikaner in Iowa begonnen. Der als Favorit gehandelte Ex-Präsident Donald Trump fuhr dort einen überlegenen Sieg ein: er erhielt 51% der Stimmen und ließ seine stärksten Kontrahenten Ron De Santis (21%) und Nikki Haley (19%) weit hinter sich. Er siegte in 98 von 99 Wahlbezirken, den einen verlor er bloß mit einer Stimme weniger an Haley. Bemerkenswert ist es auch, dass er in allen Wählergruppen vorne lag. Der am 4. Platz gelandete Vivek Ramaswamy (8%) stellte seine Kampagne ruhend und empfahl seinen Wählern für Trump zu stimmen. Unabhängig davon, wie die nächste Vorwahl der Republikaner in der kommenden Woche in New Hampshire ausgeht, ist dem ehemaligen US-amerikanischen Staatsoberhaupt die Nominierung durch die Republikaner wohl nur durch ein außerordentliches Ereignis zu nehmen.
Die europäischen Machthaber, die eine Wahl Trumps zum US-Präsidenten fürchten wie der Teufel das Weihwasser, müssen sich demnach schon jetzt warm anziehen. Denn mit dem amtierenden Staatsoberhaupt hat er – wenn es dabei bleibt – einen schlagbaren Gegner. So warnte Belgiens Regierungschef Alexander de Croo mit diesen Worten bereits vor den Folgen für die EU: „Wenn uns das Jahr 2024 wieder ,America first‘ bringt, wird Europa mehr denn je auf sich allein gestellt sein.“ Eine durchaus treffende Analyse. Aber ist es nicht ohnehin längst Zeit, dass sich die europäische Staatengemeinschaft endlich emanzipiert und die Abhängigkeit vom „großen Bruder“ endlich verringert oder gar aufgibt? Bis dahin sind aber doch etliche Hausaufgaben zu machen, vor denen man sich bisher gedrückt hat. Aber man hat jetzt noch fast ein ganzes Jahr Zeit, wesentliche Schritte zu machen, um gestärkt in diese neue(rliche) Situation zu gehen.
Um den Lehrermangel zu beseitigen und Studierende bzw. Junglehrer im Beruf zu halten, präsentierte Bildungsminister Polaschek gemeinsam mit der Klubobfrau der Grünen, Sigi Maurer, Pläne zur Verkürzung des Lehramtsstudiums. Ob diese Maßnahme tatsächlich den gewünschten Erfolg bringen wird, ist äußerst fraglich. Die Krise des Bildungssystems ist nämlich wesentlich vielfältiger als es von den verantwortlichen Politikern wahrgenommen werden will. Die Diskussion über tiefgreifende Reformen oder einen kompletten Neustart des Systems, die ja schon Jahre währt und an der sich schon viele federführende Proponenten, wie die Wirtschaftskammer oder die NEOS, sämtliche Zähne ausgebissen haben, ist mittlerweile aus dem öffentlichen Diskurs nahezu verschwunden. So wird also munter an der Oberfläche herumgedoktert, um Kante zu zeigen, das, was wirklich gebraucht wird, um Bildung in Österreich ins 21. Jahrhundert zu hieven aber weiterhin grob vernachlässigt. In erster Linie geht es dabei um eine Neudefinition der Bildungsinhalte, des weiteren um geeignete Strukturen, in denen Persönlichkeitsbildung den gleichen Stellenwert wie Fachwissen bekommt. Letzteres ist ohnehin immer besser abrufbar. Und mit einer wirklichen digitalen Grundbildung könnte man auch lernen, wie man am besten seriöse Quellen anzapft. Zudem darf sich Digitalisierung nicht bloß im Zur-Verfügung-Stellen von digitalen Endgeräten erschöpfen, die ja per se noch keine Weiterentwicklung des Lernens bewirken. Bei Vorreitern der Digitalisierung des Schulsystems – wie beispielsweise Schweden – rudert man nach einigen Jahren Erfahrung in diesem Bereich wieder zurück. Bemerkenswert, nein eigentlich erschütternd ist, dass Erkenntnisse der Hirnforschung – wie sie etwa Gerald Hüther seit Jahren in die Diskussion einbringt – oder Ergebnisse der Metastudie von John Hattie aus 2015 immer noch nicht zu den Verantwortlichen durchgedrungen sind. Diese Erkenntnisse sind viel wesentlicher als der in unserem seligen Österreich schon seit gefühlt Ewigkeiten geführte ideologische Zweikampf zwischen ÖVP und SPÖ um Ganztags- und Gesamtschulen sowie Gymnasien.
Abschließend muss gesagt werden, dass die Einschränkung von Debatten, die oftmals auch Denkverboten in Bereichen, die gesellschaftlich von enormer Bedeutung sind, gleich kommt, und deren Verlagerung auf Peanuts-Themen, die dann nicht nur am Stammtisch heiß diskutiert werden, aber kaum einen entscheidenden Impuls für die Weiterentwicklung unserer Spezies darstellen, dringend aufgehoben werden muss. Und damit möchte ich jene stärken, die sich nicht den Mund verbieten lassen. Auf diese Weise können wir auch den Populisten, die immer lauter zu schreien trachten, das Wasser abgraben. Denn die von ihnen – hie und da auch zu wichtigen Themen – eingebrachten Diskussionsbeiträge entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als heiße Luft.
Es lebe der wirkliche Diskurs!
Bildrechtelink Donald Trump:
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WG – 2024 KW02-DE-PC | Wolfgang Müller | CC BY-SA 4.0 | |
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