Der Weisheit letzter Schluss – Was eint die Menschen?
Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 6/23
Es gibt eine alte Weisheit, dass Menschen in der Krise enger zusammenrücken. Die wird aber – nicht nur seit der unseligen zur Pandemie erklärten C-Zeit – immer wieder und womöglich sogar immer öfter Lügen gestraft. Krisen zeigen nämlich immer auch das Gegenteil: in ihnen zeigt sich, wie stabil eine Beziehung ist. Kritische Situationen können Menschen zusammenschweißen oder zu Gegnern machen, die ihre Meinungsverschiedenheiten bezüglich einer Lösung dieser Herausforderung bis zum bitteren Lose-Lose austragen, bei dem letztendlich alle Beteiligten verlieren. Kriege sind dafür das abschreckendste Beispiel. Es geht aber auch im Kleinen: in der Partnerschaft und in der Familie. Besonders heftig wird es, wenn Einflüsse von Außen eine Rolle bekommen, also etwa die Schwieger- oder Großeltern, gesellschaftliche Normen, Weltanschauungen, Ideologien oder Narrative.
Unsere Zeit ist aktuell voll von Krisen bzw. ist plötzlich ein Bewusstsein für ebensolche entstanden – und vor lauter Krisen sieht man die Chancen nicht (mehr). Zudem wird die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf ganz viele Nebenschauplätze gelenkt, die das Wesentliche und wirklich Wichtige verschleiern hilft.
Die differenzierte Betrachtung und eine ebensolche Debatte sind bei den großen Themen im Moment kaum bis gar nicht möglich. Immer wird man der einen oder der anderen Seite zugeordnet, wenn man sich äußerst, wenn man sich nuanciert äußert fährt die veröffentlichte Meinung – die ja keinesfalls mit der öffentlichen Meinung übereinstimmen muss – mit einem Schlitten. Im schlimmsten Fall kommt dann sogar das ganze Leben aus der Bahn.
Was das mit den Ereignissen dieser Woche zu tun hat? Wieder einmal leider eine ganze Menge.
Beginnen wir bei den verheerenden Erdbeben in der Türkei, die über deren Grenze nach Syrien ausgestrahlt und auch dort jede Menge Opfer gefordert haben. Im Spiel zum deutschen Fußball-Cup zwischen Eintracht Frankfurt und Darmstadt 98 hat der ARD-Kommentator – nachdem dort vor Spielbeginn der Opfer dieser Katastrophe gedacht wurde – mit einem seinen Worten nach „naiven“ Vorschlag aufhorchen lassen: Man möge doch alle Kriege einstellen und die Soldaten als Helfer in die Krisenregion schicken. Er selbst hat mit seiner sich selbst relativierenden Aussage das ganze eingangs beschriebene Dilemma auf den Punkt gebracht. Naiv ist laut ihm, wenn man meint, ein Notfall schweiße die Menschen zusammen und lasse sie – gleich der griechischen Tragödie – Katharsis, Läuterung erfahren. Und wenn man sich dann im Umfeld dieser Ereignisse umschaut, dann hört man davon, dass die Türkei weiterhin kurdische Gebiete in Nordsyrien bombardiert oder dass ein kürzlich erfolgreicher Landesparteiobmann der FPÖ die Entsendung von 84 Soldaten und die Unterstützung mit 3 Millionen Euro für die Erdbebenhilfe auf Facebook kritisiert und fordert, dass diese Gelder stattdessen für notleidende Österreicher Verwendung finden. In so manchem Social Media-Kanal verbreitet sich sogar die Ansicht, dass die USA durch das Zünden von unterirdischen Bomben für die Katastrophe verantwortlich sei.
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, hat meine Oma mir einmal als Kind ins Gesicht geschleudert. Das hat mich sehr betroffen gemacht, weil ich eigentlich – in diesem Fall zumindest – nicht gelogen hatte. Andererseits hat es mich – bei näherer Betrachtung in späteren Jahren – auch davon befreit, immer und überall die Wahrheit sagen zu müssen. Und so kann diese Weisheit auch kontraproduktiv wirken. Wenn dir eh niemand mehr glaubt, dann kannst du alles erzählen und darauf bestehen, dass man dir das Gegenteil beweist.
Ein bereits in der Vergangenheit „auffällig“ gewordener US-amerikanischer Aufdecker-Journalist hat dieser Tage in seinem Blog eine umfassende Analyse des Attentats auf die Nord-Stream-2-Pipeline veröffentlicht und dabei Beweise publiziert, die zeigen, dass vermeintlich die USA hinter der Sprengung stehen. Es gab viel Zuspruch, aber auch Gegenmeinungen. So wirft die österreichische Tageszeitung „Der STANDARD“ dem mittlerweile 85-Jährigen vor, dass er seine Ausführungen auf nur eine anonyme Quelle bezieht und – wie nicht anders zu erwarten war – er in den letzten Jahren eher als Verschwörungstheoretiker denn als Investigativjournalist aufgefallen sei. Was glauben – und wem?
Beim EU-Sondergipfel zur Lage in der Ukraine durfte auch deren Präsident zu Gast sein. Weiterhin herrscht demonstrativ zur Schau gestelltes gegenseitiges Wohlwollen, dass sich zum Teil schon jenseits der sonst so hochgehaltenen political correctness befindet. Damit wird der Sache eher ein Bärendienst erwiesen als ein Beitrag zum dringend notwendigen Frieden geleistet. In einer Diskussionsrunde dazu auf Phönix äußerte sich der Russland-Experte Gerhard Mangott zum von der einen Seite geforderten und von der anderen Seite ins Auge gefassten EU-Beitritt der Ukraine wie folgt – und trifft damit den Nagel auf den Kopf: „Die Ukraine ist derzeit weder beitrittsreif, noch ist die EU derzeit erweiterungsfähig. Da braucht es noch viele Anstrengungen und Fortschritte auf beiden Seiten.“
Apropos öffentlich-rechtliche Medien: In einem Kommentar in „Die Welt“ wird darauf Bezug genommen, dass aufgrund einer wachsenden Zahl von Seher-Wünschen, nun auf die „Sprechlücke“ beim Gendern verzichtet werden soll. Gemeint ist damit jene kleine Pause, die im verschriftlichten Deutsch mit einem Asterisk, diesem kleinen Sternchen (*), markiert ist und eben jene Unterbrechung anzeigt, um alle Geschlechter, die biologischen und die sozialen, gleichermaßen einzubeziehen und die so seltsame Blüten treibt wie etwa Mitglieder*innen.
Aber damit befinden wir uns auf einem der oben angesprochenen Nebenschauplätze, auf denen es sich so wunderbar streiten lässt, die aber nichts zur Lösung der für die Menschheit großen Herausforderungen beitragen. Ebenso wie das ständige Gedöns um die Führung und die (ideologische) Richtung der Parteien.
Da steht angeblich das endgültige Ende der einst sozialistischen und nunmehr sozialdemokratischen Parteien, auch jener in Österreich bevor, denen es nicht und nicht gelingt, ihre neue Zielgruppe, die wächst und wächst, zu erreichen – sondern stattdessen zwischen den Stühlen von Mitte-Links und Mitte-Rechts zum Sitzen kommt und damit bei der Bevölkerung ein ums andere Mal durchfällt. Nach der Schlappe in Niederösterreich wurde der dortige Obmannposten mit einem Wiener, dessen Bezug zum Bundesland darin besteht, dass er zuletzt Geschäftsführer des dortigen Arbeitsmarktservices (AMS) war, besetzt. Was parteiintern durchaus für Verwunderung sorgte. Der Kärtner SPÖ-Landeshauptmann, dass er bei der Wahl Anfang März die absolute Mehrheit verlieren könnte und daher eine „breitere Partei-Spitze“, nicht aber eine von Medien kolportierte Doppelspitze wünsche, und die demonstrative Einigkeit des salzburger und des burgenländischen Landesparteiobmanns in Sachen Neuaufstellung der SPÖ nach den Landtagswahlen.
Wesentlich ist es, unsere Meinung durch die Volksvertreter repräsentiert zu sehen, was angesichts von Wahlbeteiligung und Abstimmungsverhalten der in die verschiedenen Entscheidungsgremien gewählten Politiker durchaus in Frage steht. In Deutschland gibt es schon seit längerem eine vom Verein „DEMOCRACY“, der sich für Demokratie als politische Selbstbestimmung einsetzt, entwickelte App, mit deren Hilfe man zu allen aktuellen Themen seine Meinung abgeben kann. Dabei zeigt sich – laut einem Bericht auf RUBIKON – dass die Abstimmungsergebnisse im dortigen Bundestag nur selten den Wählerwillen widerspiegeln. Obwohl die Resultate nicht repräsentativ sind, zeigen sie doch eine Tendenz, die Sorge bereitet, und deren Änderung berücksichtigt werden muss, wenn man die Menschen wieder für die Mitwirkung an demokratischen Entscheidungsprozessen gewinnen will. In diesem Zusammenhang stellt sich mir auch die ketzerische Frage: Will man das überhaupt?
Wirklich wichtig ist auch die Aufarbeitung der C-Jahre (es soll ja schon eine neue Zeitrechnung mit v. C. und n. C. geben). Immerhin sind diese Woche auch diverse Medien auf den nunmehr anfahrenden „Mea-Culpa-Zug“ aufgesprungen, bei genauerer Betrachtung aber mit der angezogenen Handbremse des „Wir haben es halt damals nicht besser gewusst.“ Subtil wird auch daran gearbeitet, dass das Herausfinden von Richtig oder Falsch daran scheitern könnte – wie in der Wiener Zeitung am Ende dieser Woche zu lesen war -, dass es zu wenig Datenmaterial gibt und Studien allein nicht aussagekräftig sind, weil sie zu gegenteiligen Erkenntnissen kämen. Während Wien nun das Aus für die Maskenpflicht mit 1.März 2023 verkündet, hat sich auch der Verein GGI (ehemals Grüne gegen Impfpflicht, nunmehr Grüner Verein für Grundrechte und Informationsfreiheit) – wie ein aktueller Newsletter titelt – „Die große Aufarbeitung“ zum Ziel gesetzt. Deren Scheitern ist laut Tobias Riegel in seinen Ausführungen im Internet-Portal „Nachdenkseiten“ schon vorprogrammiert, weil die geplanten Ansätze völlig ungenügend seien.
Erfolgreich wird ein Mitreden, egal ob im politischen Meinungsbildungsprozess oder bei der Aufarbeitung von Krisen und dem Umgang damit, immer dann sein, wenn Meinung und Gegenmeinung respektiert und eine differenzierte Betrachtung zugelassen wird. In jedem Fall aber sollten jene, die Verantwortung übernommen haben, sich dieser Verantwortung und den daraus resultierenden Konsequenzen stellen. Auch das ist ein not-wendender Beitrag zu einer gelungenen Aufarbeitung, aus der Lehren für die Zukunft gezogen werden können.
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