Im Rahmen unseres Jahresrückblicks 2022 analysieren Alexander Stipsits und Mag. Christian Janisch gemeinsam mit dem Politikwissenschafter Univ. Prof. Dr. Gerhard Mangott die wichtigsten politischen Ereignisse.
Unser erstes Thema ist natürlich der Krieg in der Ukraine, der am 24. Februar 2022 von Russlands Präsident Putin begonnen wurde, und der – wenn man dem deutschen Bundeskanzler Olav Scholz glauben darf – zu einer „Zeitenwende“ geführt hat.
Während die meisten westlichen Experten gedacht hatten, dass die Ukraine innerhalb weniger Tage fallen würde, bewiesen die Ukrainer, dass sie Ihr Land sehr wohl verteidigen konnten.
Eine der größten positiven Überraschungen im Jahr 2022 war, wie mutig der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, die ukrainische Armee und das ukrainische Volk auf den Überfall Russlands reagiert haben. Anstatt aus dem Land zu fliehen, blieb Selenskyj in Kiew, unterstützte das ukrainische Militär und inspirierte die Phantasie seines Volkes und der freien Welt, indem er die von Russland in Ihrer Existenz bedrohte Ukraine leidenschaftlich verteidigte und federführend dafür sorgte, dass die westliche Welt Russland geschlossen isolierte. Zu Recht wurde Wolodymyr Selenskyj daher im Dezember 2022 vom TIME-Magazin zur „Person des Jahres 2022“ gekürt.
Derzeit ist die militärische Frontlinie im Osten und Süden der Ukraine stabil, aber die Kämpfe dauern mit unverminderter Heftigkeit, insbesondere im Donbass, an. Aufgrund der aktuellen militärischen Situation ist es unwahrscheinlich, dass Russland oder die Ukraine in naher Zukunft auf dem Schlachtfeld die Oberhand gewinnen werden, weshalb Prof. Mangott voraussagt, dass Russlands Krieg in der Ukraine noch einige Zeit andauern wird.
Leider gibt es derzeit keinen realistischen Weg für Friedensverhandlungen, da Russland und die Ukraine beide politische Positionen artikuliert haben, die von der anderen Seite wahrscheinlich nicht akzeptiert werden.
Die Unterstützung des Iran für Russlands Krieg wird ungeachtet der Unruhen, die den Iran seit Monaten erschüttern, weitergehen. Ob es dieses Mal tatsächlich zu einem echten politischen Wandel im Iran kommen wird, ist zu hoffen, aber kurzfristig nicht sehr wahrscheinlich. Dennoch: die neue Generation ist nicht mehr gewillt, unter einem autokratischen System zu leben und langfristig sollte sich dies positiv auf den Iran auswirken, erklärt Prof. Mangott.
2022 erwies sich auch für China als herausforderndes Jahr, da der chinesische Außenhandel heuer massiv eingebrochen ist. Zudem erwies sich die Zero-Covid-Politik als großer politischer Bumerang, da an zahlreichen Orten in China zivilgesellschaftliche Proteste stattfanden. Chinas Führung hat – überraschend für die meisten westlichen Beobachter – beschlossen, ihre Null-Covid-Politik und ihre grausamen Lockdown-Maßnahmen zu beenden, um die politische Stabilität im Land zu sichern.
Viel wurde auch über die Zukunft Taiwans im Jahr 2022 gesprochen. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine stellte sich die Frage, welche politischen Lehren Xi Jinping aus den Folgen des Ukrainekriegs für Taiwan ziehen würde. Nachdem die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Ende Juli 2022 Taiwan besucht hatte, reagierte China sehr aggressiv und hielt wochenlang sehr große Militärübungen rund um Taiwan ab, um das kleine Land einzuschüchtern.
Prof. Mangott hält einen chinesischen Angriff auf Taiwan für unwahrscheinlich, da die Biden-Administration die US-Politik der strategischen Zweideutigkeit gegenüber Taiwan beendet hat und Präsident Biden selbst sehr deutlich gemacht hat, dass die USA Taiwan militärisch verteidigen würden, wenn das chinesische Militär angreifen würde.
Die Taiwan-Frage dient Xi Jingping auch als willkommene Ablenkung, wenn es innerhalb Chinas schwierige innenpolitische Probleme gibt.
Weitere wichtige Themen in unserem Jahresrückblick Interview mit Prof. Mangott sind:
Die Rolle der USA in der Welt, die US Midterm Elections und ihre Auswirkungen auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2024, der Zustand und die Gefährdung der Demokratie in den USA und die Rolle der USA in der Welt, die Korruptionsskandale innerhalb der Institutionen der Europäischen Union und die EU im Multikrisenmodus, weil viele europäische Regierungen es versäumt haben, die drängenden Probleme unserer Zeit (Migration, hohe Lebenshaltungskosten, Inflation usw.) anzugehen.
Die sich abzeichnende Frage der kommenden Jahre lautet:
Wird es in Zukunft mehr Nationalismus oder mehr internationale Zusammenarbeit geben?
So wie es derzeit aussieht, mag die Antwort nicht allzu angenehm sein, erklärt Prof. Mangott, aber es gibt immer auch Grund zur Hoffnung, we shall see…