Bernhard Heinzlmaier: Empathielosigkeit – das Ende der Gesellschaft
Der Soziologe und Meinungsforscher Prof. Mag. Bernhard Heinzlmaier, bekannt für seine pointierten Twitter-Nachrichten, erzählt uns in diesem Interview über sein Projekt tfactory, welches aus der Notwendigkeit heraus gegründet wurde, Geld zu verdienen. Dieses Meinungsforschungsinstitut fokussiert sich seit 20 Jahren vor allem auf Jugendliche und wendet sowohl qualitative als auch quantitative Methoden an, um aus den Daten konkrete Aussagen treffen zu können. Er hält nichts davon, Studien zu publizieren, in dene eigene Meinungen der Forscher oder ihrer Auftraggeber abgebildet werden – sie müssen immer datenbasiert sein.
Heinzlmaier erzählt über seine Jugend und seine Studentenzeit, in der er sich bei sozialdemokratischen Vorfeldorganisationen engagierte.
Eines seiner Bücher beschäftigt sich mit dem Begriff Heimat. Im Zuge der Forschung stellte er eine Renaissance der Traditionen fest, auch bei Jugendlichen. ZB hat sich deren Interesse an Volksmusik in den letzten 15 Jahren um 20% gesteigert. Die Soziologie nennt diese Suche nach festen Bezugspunkten Regrounding. Jugendlich gehen heute großteils pragmatisch und taktisch mit den Eltern um, und nicht revolutionär wie Vorgängergenerationen. Die Jugend von heute betrachtet die Welt eher unideologisch und unkritisch – die (über)kritische Betrachtungsweise sei eher Merkmal ihrer Eltern.
Die Globalisierung und die mir ihr kommenden Veränderungen empfinden Menschen nicht nur als bedrohlich, sie sind tatsächlich bedrohlich: der Alltag der Menschen würde auf den Kopf gestellt, das Bekannte/Regionale gehe verloren, Jobsicherheit sei nicht mehr gegeben, alles sei dem ökonomischen Takt, der Profitmaximierung untergeordnet. Vertrautes stehe jederzeit zur Disposition, ständige Beschleunigung und Zugriff auf alle Lebensbereiche. Aus anthropologischer Sicht sei der Mensch für so eine dynamische Welt nicht gemacht, so Heinzlmaier. Ergebnis dieser Unsicherheit sei zB die weit verbreitete Angst, sozialen Status zu verlieren.
Bei der Lösung dieses Zustandes ist Heinzlmaier sehr pessimistisch. Das obere Gesellschaftsdrittel beherrscht den Rest der Gesellschaft und bejubelt die Globalisierung, die Machtlosen versuchen, sich so gut es geht anzupassen, oder haben aufgegeben. Die einzige Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen, sehen die unteren zwei Drittel aktuell im Rechtspopulismus – denn dessen Auswüchse seien das einzige worauf das obere Drittel überhaupt reagiere.
Die Linke sieht Heinzlmaier in Österreich als nicht wirklich vorhanden: sie ergehe sich in Begriffsdiskussion, wer ist zu faschistisch, wer ist zu wenig feministisch – ein endloses Labelling ohne Inhalte. Eine Lösungskompetenz sei im linken Lager nicht vorhanden.
In der Mitte der Gesellschaft herrsche Empathielosigkeit. Warum? Weil zb das untere Drittel nichts mehr zu verlieren habe: Der Mensch wird aus Verzweiflung zum Krieger, jeder gegen jeden, ohne moralische Grenzen, um sich im Wettbewerb zu behaupten – und auf Aufstieg zu hoffen.
Die paternalistische Herangehensweise der Linken, jeden Tag eine neue Verkündigung an den Menschen bringen zu wollen, um ihm zu sagen, wie er denn zu leben habe, trage jedenfalls nichts dazu bei, um die Menschen wieder zurück zu linken Idealen zu holen. Die Menschen brauchen von der Politik Unterstützung, und keine Moraltherapie. Stabilität sei das um und auf. Keiner dürfe Angst vor sozialem und gesellschaftlichem Abstieg haben. Dazu reiche eine Mindestsicherung, die bei genauer Betrachtung keine sei, sicher nicht aus.
Weitere Themen dieses Gespräches sind ein stark reformiertes Bildungssystem, menschliche Bedürfnisse, soziale Medien und die stereotype politische Kultur inklusive ihres Disziplinierungsdrucks.
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Heinzlmaier | Nader Daoud | CC BY SA 4.0 |