Am Hafen von Lesbos
Am selben Tag noch, nach der Ankunft des Bootes, wie ich bereits erzählte, fuhr ich nach “Attika” – dort befindet sich eines der vielen Lager, wo alle Spenden, Kleider, Schuhe, Kinderwagen, Zelte usw. aufbewahrt werden.
Ich habe mein Auto mit so vielen Sachen als möglich vollgestopft und bin daraufhin zum Hafen gefahren, um die notwendigen Dinge dort auch zu verteilen.
Jeden Tag treffen sich um 16:00 Uhr mehrere Volontäre, um am Hafen Essen, Trinken, Kleider, Windeln, Kinderwägen, Rucksäcke, Schuhe usw. auszugeben – und zeitgleich wird medizinische Hilfe geleistet.
Die Fähre startet um 20:00 Uhr nach Athen; in der Zwischenzeit können die Flüchtlinge die Sachen besorgen, die sie noch benötigen.
Die Atmosphäre am Hafen ist sehr positiv, man spürt, wie sich die Menschen freuen, endlich ihre Reise antreten zu können. Leider wissen viele nicht oder wollen es nicht wahrhaben, dass die Grenze zu Mazedonien geschlossen ist und dass die Umstände in Athen und in Eidomeni, an der Grenze, weniger positiv sind.
Sie wurden zwar über diese Situation informiert, aber man kann sie nicht dazu zwingen, auf Lesbos zu bleiben.
Die Menschen, die ich antreffe, sind sehr freundlich: Ein junges Fräulein besteht darauf, dass ich eines ihrer Kekse annehme, obwohl sie die erst kurz vorher von einer Volontärin geschenkt bekommen hat. Sie will unbedingt, dass ich von ihr ein Foto knipse, auf dem sie mit ihrem neuen Hut und ihren Handschuhen sehr modebewusst bzw. “cool“ rüberkommt.
Ich sichte sehr viele Kinder am Hafen, und die meisten schleppen einen Rucksack, der viel zu groß ist; viele tragen sogar zwei Gepäckstücke; und einige Rucksäcke sind gar größer als die Kinder selbst ..
Als ich so durch die Menge gehe und die Menschen vereinzelt frage, was sie denn benötigen, werde ich auf eine Familie aufmerksam: Ich sehe eine Mutter mit zwei kleinen Kindern und ihren Ehemann. Die junge Mutter sieht sehr erschöpft aus. Ich versuche, ihr aufmunternd zuzulächeln, aber es kommt nichts zurück – ihr Gesichtsaudruck und ihre Augen sind leer. Ich frage sie, was sie braucht, doch ihre Englischkentnisse sind begrenzt; schlussendlich verstehen wir uns mit “Händen und Füßen”. – Die junge Frau benötigt schlichtweg Damenbinden.
Nach einiger Zeit wird mir klar, dass einige der Kinder, die Kleider und Schuhe suchen, gar keine “Flüchtlingskinder” sind, sondern Zigeuner. Sie fangen gierig an, ihre Taschen voll mit Essen und neuen Kleidern zu packen, obwohl die Regel besteht, dass Flüchtlinge von jedem Kleidungsstück oder Essen nur ein Stück bekommen sollen. Seither werfe ich ein Auge auf sie und bitte sie immer wieder, das Überschüssige zurückzulegen.
Nachdem alle Menschen das Nötige geholt haben, stellen sie sich nun in einer Reihe auf, um die Fähre zu betreten.
Man sieht mehrere Volontäre, die durch die Reihen gehen, um Snacks und Tee auszuteilen. Ich nutze diese Chance, um die Kinder ein bisschen zu unterhalten und aufzumuntern. Als ich ihnen zeige, wie man Seifenblasen macht, konnte ich dem einigen Kindern auch ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ein kleines Mädchen aber, das mit ihrem Bruder da steht, kann ich leider nicht glücklich stimmen.
Diesen armen Kindern wurde die Möglichkeit genommen, einfach Kinder zu sein; sie müssen in jungen Jahren unter derart schrecklichen Umständen leben, werden Gefahren ausgesetzt, sind unterernährt, erschöpft, übermüdet usw. Ich habe in diesen wenigen Tagen, an denen ich mich auf dieser Insel befand, so viele weinende Kinder gesehen wie nie zuvor. Oft musste ich an meine Kindheit zurückdenken und mir wurde bewusst, wie es mir im Vergleich gut ging.
Ich fragte mich gleich: Verstehen diese Kinder eigentlich, was los ist, wo sie sind? Was müssen ihre Eltern ihnen wohl erzählt haben? Dass sie eine längere Reise antreten/Abenteuerurlaub? Dass das alles nur ein Albtraum ist?
Ich sehe mehrere Menschen, die so viel Gepäck haben, dass sie es nicht schaffen, dieses zu tragen. Da ich das nicht mitansehen kann, fange ich an, mehreren Familien zu helfen, um deren Taschen sicher ins Boot zu bringen. Dafür sind sie alle überaus dankbar. Eine junge Mutter schenkt mir sogar ihr letztes bisschen Parfum und ihren Lippenstift. Anfangs kann ich es nicht annehmen, aber sie besteht mit allen Mitteln darauf. Und sie umarmt mich mehrmals.
Die Wärme und die Dankbarkeit der Menschen sind die essenziellen Nährstoffe eines jeden Volontärs. Es ist nicht einfach, ein Volontär zu sein, da man ständig neuen Situationen ausgesetzt ist und man keine Zeit hat, seine Erlebnisse zu verarbeiten. Momente wie diese helfen einem aber, weiterzumachen und neue Kräfte zu sammeln, wenn man mal beispielsweise einen schlechten Tag hat.
Am selben Abend noch, nachdem alle Leute sicher in der Fähre untergebracht waren und weggefahren sind, bin ich wieder an den Strand zurückgekehrt, um dort zu helfen.
Ich habe die ganze Nacht im Auto verbracht, aber aufgrund des heftigen Sturms hat es zum Glück niemand gewagt, die Reise von der Türkei nach Griechenland anzutreten.
Weitere Impressionen
Tolle Impressionen !
Wie es aussieht ist der anfängliche „Vorwurf“, es seien fast nur junge Männer auf dem Weg nach Europa, nicht mehr wirklich aufrecht zu erhalten.
[…] während Isabel noch ihre letzte Woche in Griechenland verbringt, um dort Flüchtlingen zu helfen und sich schon auf ihren nächsten Einsatz in einem […]