Die Begegnung mit meinen inneren Widerständen
Dieser Artikel ist die Fortsetzung meines Artikels „Der ‚Novemberkurs‘ im Kloster von Kopan ist so ganz anders„.
1. Lektion: Bescheidenheit und Akzeptanz
Der Stundenplan ist täglich voll, angefangen mit rituellen Verbeugungen („Prostrations„) um 5:30 Uhr, analytischen Meditationen und Unterrichtseinheiten tagsüber und der letzten Meditations-Session bis 21 Uhr am Abend. Trotz der vielen Pausen zwischendurch bin ich oft müde und fühle mich von dem vielen Input überanstrengt. Mein Schlaf wird oft unterbrochen, da ich mir ein großes Mehrbettzimmer mit elf weiteren Frauen teile.
Ich habe kaum Privatsphäre und schlafe nur wenig. Trotzdem funktioniere ich tagsüber irgendwie. Die Dusche, die ich mir mit mindestens zwanzig weiteren Personen teile, ist oft besetzt und das Wasser manchmal nur lauwarm bis kalt. Die Bedingungen sind bescheiden und ich akzeptiere die Kompromisse, die ich hier eingehe. Das ist aber nicht so einfach, da jeder Tag anders ist mit vielen Höhen und Tiefen.
Doch nach geraumer Zeit beginne ich, wahrhaftige Akzeptanz zu empfinden und bestehe nicht mehr auf all den Annehmlichkeiten, die ich gern hätte. Das Gefühl von Akzeptanz und Bescheidenheit ist etwas Wunderbares und macht mich offen und empfangsbereit.
2. Lektion: Erwartungen, Stolz und Skepsis über Bord werfen
Trotz gewisser Erwartungen möchte ich mich auf das Kommende einlassen. Schnell stoße ich allerdings an meine Grenzen und merke, dass ich ungeahnte Voreingenommenheiten hege, die mir vorher nicht bewusst waren. Dies beginnt mit den rituellen Verbeugungen jeden Morgen um 5:30 Uhr. Hier verbeugt man sich mindestens 35 Mal vor 35 verschiedenen Bekenntnis-Buddhas, um sich von angehäuftem negativem Karma zu reinigen.
Skepsis und Unbehagen kommen in mir hoch, und ich frage mich, ob mich das tägliche Verbeugungsritual wirklich von negativen Handlungen reinwaschen kann. Aber ich weiß, dass es vorrangig darum geht, sich in Bescheidenheit zu üben und das eigene Ego etwas runterzuschrauben.
Rituelle Verbeugungen sind definitiv eine gute Übung: ein Raum voller Menschen, die sich unzählige Male vor einer überdimensional großen Buddhastatue auf die Knie werfen und dabei ihr mit Skepsis und Stolz beladenes Ego draußen vor der Tür stehen lassen. Wenn ich mich vor allen möglichen Buddhas verbeuge, deren Bedeutung ich nicht kenne, kann ich mir dabei im Kopf meinen eigenen Sinn kreieren und so dem Ganzen eine Bedeutung geben.
Ich verbeuge mich vor dem Leben als großes Ganzes, das so viele Wege für mich bereithält. Ich verbeuge mich vor der Schöpfung und dem Göttlichen – der Buddha-Natur – und erkenne, wie ich ein kleines Sandkorn unter Billionen anderen am Strand des Lebens bin.
3. Lektion: Das eigene Erfahrungslevel erkennen und dort anfangen, wo man sich befindet
Trotz meiner guten Vorsätze gehe ich nach nur wenigen Tagen nicht mehr zu den morgendlichen Verbeugungen. Ich erkenne nämlich, dass ich noch nicht so weit bin, um meinen eigenen Sinn zu finden. Neben den Gebeten, die wir rezitieren, sind mir die Verbeugungen noch einen Schritt zu weit. Ich fühle mich fremd und überfordert.
Ich entscheide mich, ehrlich zu mir zu sein und weiterhin vorerst an den Grundlagen zu arbeiten: Meditation und Philosophie. Ich möchte meinem Geist etwas Raum geben und nicht zu viele Widerstände aufbauen, die mich letztendlich vom Buddhismus wegtreiben könnten. Das wäre zu schade, bedenke ich all die lebensverändernden Potenziale, die ich hier fand.
Ich lerne viele Menschen kennen und sehe, dass ich nicht die Einzige bin, die Erfahrungen mit der Skepsis und den eigenen Widerständen macht.
4. Lektion: Die Arbeit am Selbst braucht Zeit, zu gedeihen
Und dann ist da die Sache mit dem Karma. Im Buddhismus ist es von großer Bedeutung, während der Lebenszeit gutes Karma zu produzieren und dadurch im nächsten Leben eine gute Wiedergeburt zu erhalten. Die Intention dahinter ist, das eigene Bewusstsein über zahlreiche Leben hinweg spirituell zu entwickeln, Erleuchtung zu erlangen und dann wiederum andere Lebewesen zur Erleuchtung führen zu können. Das dafür nötige Karma wird durch reine, nicht vom Ego motivierte Aktionen kreiert.
Die frustrierende Nachricht ist: Es ist verdammt leicht, schlechtes Karma zu produzieren. Häufte man größtenteils negatives Karma an, dann verspricht einem das, laut den buddhistischen Lehren, eine Wiedergeburt in den unteren Lebenssphären, zu denen u.a. Tiere und Höllen-Lebewesen gehören.
Es braucht aber nicht nur schwere Gewalttaten, um schlechtes Karma zu produzieren: Schon kleine Handlungen genügen, wie z.B. schlechtes Reden über andere oder die eigenen Bedürfnisse eigennützig über die der anderen zu stellen. Die Liste ist lang. Alles hinterlässt Abdrücke im Bewusstseins-Strom, der nach dem Tod in das nächste Leben reinkarniert.
Da ich viel Reflexionszeit habe, ziehe ich während des Kurses unweigerlich Resümee über mein eigenes Karma-Konto und stelle dabei geschockt fest, was sich da schon summierte. All die Jahre der Unbewusstheit und Unachtsamkeit gehen nicht einfach so spurlos vorbei. Ich frage mich, in welcher Form sich all die eigennützig motivierten Handlungen auszahlen werden. Hinter vielen steckte der Antrieb des Egos, selbst gut dastehen zu wollen. Und wie wir im Laufe des Kurses immer wieder hören, häufen wir damit enorm viel negatives Karma an.
Ich mache mir Sorgen um meine Wiedergeburt, ohne klar zu wissen, ob ich überhaupt an Wiedergeburt glaube. Die Zeit hier im Kloster ist so intensiv und viele der Lehren so klar und zugänglich, dass das Konzept von Karma und Wiedergeburt immer mehr Form für mich annimmt. Täglich frage ich mich: Wie kann ich all das gute Karma kreieren, um das schlechte wiedergutzumachen? Und auch hier heißt es wieder einmal: entspannen und akzeptieren. Und dankbar dafür zu sein, dass ich daran arbeiten kann, in Zukunft ein besserer und bewussterer Mensch zu werden.
Der Kurs im Kloster Kopan hat mir gezeigt, dass alles, was man gern in sein Leben integrieren möchte, Zeit braucht, um zu gedeihen. Man weiß nach dieser intensiven Zeit noch nicht, was man tatsächlich lernte und für sich daraus mitnahm. Es kann Wochen, Monate oder Jahre dauern, bis sich der Sinn darin dem Verstand offenbart. Ich habe einige persönliche Hürden konfrontiert, über die ich im nächsten Teil dieser Reihe berichten werde, und sehr schnell kleine, positive Veränderungen bemerkt: Ich weiß das Leben mehr zu schätzen und lerne, nützliche von unnützen Gedanken zu trennen und im Alltag weiser zu handeln.