Meine ersten Begegnungen in New Mexico

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Lebenswelten

Als wir nach Taos hineinfuhren, erinnerte ich mich, dass Amitas Reiseführer die Kleinstadt als eine Art exklusive Hippiekolonie beschrieben hatte und dass der einheimische Stamm noch immer das ‚Pueblo‘ bewohnen solle, das ein paar Meilen nordöstlich lag. Ich hatte keine Vorstellung, was ein Pueblo war oder wer die Menschen waren, die dort lebten. Aber da musste ich wohl hin, wenn ich etwas über den Ursprung meines Traumfängers herausfinden wollte.

Ich bat die Amerikanerin, mich am Stadtrand abzusetzen. Da ich nicht wusste, was weiter geschehen würde, verabschiedete ich mich. Die beiden Frauen sagten mir, dass sie den Tag in der Nähe verbringen würden, um sich Taos anzusehen. Falls ich mich doch entscheiden sollte, mit ihnen zusammen zurückzufahren, könnten wir uns später auf der Plaza treffen.

(aus: Herzlich willkommen in New Mexico)

Ich wanderte die Straße entlang, neben der ein Bach fröhlich vor sich hin gurgelte, während er sich durch das Gestrüpp schlängelte. Es war ähnlich kalt wie zu Hause um diese Zeit im März; ich fühlte die Höhe in meinem Kopf und meinen Knochen und konnte den Schnee riechen in den scharfen Böen, die von den Bergen herabrauschten.

Nach ungefähr einer Meile sah ich in der Ferne etwas, was für mich aussah wie ein gigantischer Termitenhügel, gekreuzt mit einer in der Flut langsam dahinschmelzenden Sandburg.

Es war schwer auszumachen, weil die Farbe sich perfekt der Umgebung anpasste. War das das Pueblo? Plötzlich stand jemand neben mir. „Was hast du hier zu suchen?“, grummelte mich ein drahtiger Kerl mit dunkler Haut und recht langem Haar in einem seltsamen englischen Akzent an. Er schien in den Dreißigern zu sein und sah ziemlich wirr und zerzaust aus.

Ich entschuldigte mich so höflich wie ich nur konnte für die Störung und sagte, dass ich durch die Gegend reise und das Pueblo besuchen wolle. „Und von welchem Stamm bist du?“ fragte er, eine Spur freundlicher. Währenddessen starrte er kurz, aber intensiv in meine Augen und inspizierte meine Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, sowie meine Ohrringe (ich trug immer kleine goldene Reifen in beiden Ohrläppchen). „Naja, ich komme aus …“, begann ich und erzählte ihm dann so viel, wie ich in diesem Moment für wichtig hielt.

Er hörte mir zu und schüttelte dabei den Kopf. Dann gab er mir einen Wink, ihm ins Gestrüpp zu folgen. Ich war nervös, wollte ihn aber nicht kränken. Er war ein ganzes Stück kleiner und viel dünner als ich, und so dachte ich, dass ich es riskieren könne, ihm zu folgen.

Er führte mich hinunter zum Bach, wo wir uns an einem hübschen Platz niederließen. Dann begann er, mit schüchterner, melodischer Stimme darüber zu sprechen, wo er herkomme. Ich verstand nicht viel, weil es nur um Stämme, Clans und Familien ging und die anscheinend sehr komplexen Beziehungen zwischen ihnen.

Er erzählte, wie er im Pueblo beim Volk seiner Mutter aufgewachsen war, den Ort dann aber verließ, um in eine größere, von Weißen bewohnte Stadt zu ziehen, wo er mit anderen Verwandten herumhing und in Schwierigkeiten geriet. Er wiederholte immer wieder, wie viele Probleme man in den Städten bekommen könne, insbesondere durch Alkohol. Gerade vor Kurzem erst sei ein Cousin während einer Sache, die als kleine Streitigkeit begonnen hatte, in Wut geraten und habe daraufhin eine Axt im Schädel seines Bruders vergraben.

Ich hörte schweigend zu, als er erklärte, wie die Familie nun versuchte, den Cousin aus dem Gefängnis der Weißen in Albuquerque freizubekommen und ihn zu seiner Familie zurückzubringen, damit sie dort die Sache mit den richtigen rituellen Zeremonien bereinigen konnten.

Seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Plötzlich verstummte er und schien in sein Inneres verschwunden zu sein. Ich wartete eine Weile ab, dann wollte ich mich entschuldigen und weggehen, irgendwohin. Er griff nach meinem Arm und sprach, plötzlich von Energie erfüllt, von der Stadt und dass ich nicht zu den Weißen zurückgehen solle. Stattdessen solle ich mit ihm kommen – er und seine Freunde seien gerade dabei, eine Kriegerhütte vorzubereiten, und ich sei eingeladen, mich ihnen anzuschließen.

Er war sehr nachdrücklich, und ich fühlte mich ein bisschen, als sei ich in eine Falle geraten. Der Gedanke, mit ihm und seinen Freunden in irgendeinem Eingeborenenritual festzusitzen, war nicht sehr verlockend. Mir fiel nichts ein, was ich sagen konnte, und so öffnete ich meinen Rucksack und kramte darin herum. Dort war, zwischen all den notwendigen Dingen, das Buch, das ich Jahre zuvor auf meinem Nachttisch zurückgelassen hatte, das Buch, das Jim Pepper erwähnte, als wir zum ersten Mal miteinander sprachen. Ich hatte es mitgenommen und dann vergessen.

So übergab ich es mit feierlicher Mine und würdiger Geste diesem Mann an diesem Bach. Hinter ihm ging die Sonne unter und malte einen Glorienschein um seinen Umriss. Ich nickte, stand auf und verließ ihn. Schnellen Schrittes ging ich auf die Stadt zu, die in entgegengesetzter Richtung von der uralten Indianersiedlung lag und im letzten Licht des Tages erglühte.

Soweit es mich betraf, war meine Zeit unter den Indianern vorbei. Erledigt.

Die Frauen hatten tatsächlich am Stadtrand auf mich gewartet, bei der Station der Greyhound-Busse. Amita wollte nach Santa Fe, und ich sah für mich keinen Grund zum Bruch meines Versprechens, die Amerikanerin zu ihrer Konferenz in Denver zu begleiten. Colorado schien so gut wie jedes andere Ziel zu sein. Ich war ziemlich deprimiert und zugeknöpft; ich verabschiedete mich von Amita und bekam fast nicht mit, wie sie sagte: „Ich gehe nach Santa Fe, wir sehen uns!

Die Fahrt verlief eine Weile lang ruhig. Die Frau fragte mich, was mit den Indianern passiert sei, diesen armen, verlorenen Seelen, und ich murmelte etwas davon, dass es ziemlich seltsam gewesen sei. Plötzlich fragte sie mich nach meinem religiösen Glauben, worauf ich unschuldig antwortete, dass ich zwar als Katholik aufgewachsen sei, mich aber mehr zur asiatischen Spiritualität hingezogen fühle.

Dies veranlasste sie umgehend, mich sehr eindringlich über die Gefahren solcher Täuschungen zu belehren, denn: „Jesus Christus wird kommen, in glänzender silberner Rüstung, auf einem schneeweißen Ross, die Wolken mit seinem Speer durchstoßend. Er wird die Gerechten erretten und die Ungläubigen zerschmettern …“ Und so ging es weiter und weiter.

Heilige Scheiße! Ich saß ganz offensichtlich mit einem richtig fanatischen Mitglied einer christlichen Sekte im Auto (Southern Baptists, wie sich später herausstellte). Doch irgendwie sah ich dies nach meinem Erlebnis an dem Bach in Taos als einen weiteren Teil meiner persönlichen Tour durch die Psyche des Wilden Westens an. Ich hörte höflich zu und nickte zu der farbenfrohen und ziemlich unterhaltsamen Interpretation verschiedener Bibelgeschichten.

Da es den größten Teil der Fahrt hindurch draußen dunkel war, konnte ich den Anblick der Bergketten, an denen wir vorüberfuhren, nicht genießen. Als wir das Kongresshotel in der Vorstadt von Denver erreichten, bestand ich darauf, ein eigenes Zimmer zu nehmen. Die Frau wurde etwas nervös und drängte mich, zu einem Treffen ihrer Gruppe mitzukommen. Ohne groß zu widersprechen, erklärte ich mich einverstanden, und nachdem ich mich etwas frischgemacht hatte, ging ich durch das Labyrinth der Betonkorridore zu dem Konferenzraum, den sie mir angegeben hatte.

Als ich mich der Tür näherte, die ein Stück weit offenstand, hörte ich leidenschaftlichen Gesang, unterbrochen von nicht menschlich klingendem Schluchzen und Rufen. „Gesegneter Herr, wir danken dir dafür, dass du diese verlorene Seele zu uns geführt und unseren Händen seine Errettung anvertraut hast …“ Es war die Stimme meiner Reisebegleiterin, tränenerfüllt in hysterischer Erregung. Von wem sprachen sie nur??

Oh verdammt, war damit etwa ich gemeint? Ich geriet sofort in Panik, und als ich jemanden zur Tür kommen sah, drehte ich mich auf meinen Absätzen um und rannte. Um die Ecke krachte ich in ein schweres Bronzeschild, las „Happy Hour“ und rempelte durch die Pendeltüren in die Bar.

Dort versteckte ich mich in der entferntesten Ecke hinter einem voluminösen Kerl, der mit Unmengen an goldenem Schmuck behängt und von einer heftig geschminkten Begleitung mit High Heels umgeben war. Sie fragten mich, in welchem offensichtlich ernsthaften Problem ich stecke, und ich erzählte ihnen alles. „Willkommen in Amerika“, sagte er und bestellte mir einen doppelten Whiskey.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake

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Christian_discipline_used_in_mortification_of_the_flesh Christian_discipline_used_in_mortification_of_the_flesh Anupam CC BY-SA 4.0

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