Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier

Sarah Wagenknecht
Gesellschaft
Ort
Bruno Kreisky Forum

Sahra Wagenknecht sprach am 13. Juni 2016 über ihr neues Buch: „Reichtum ohne Gier – Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten“. Es moderierte der Journalist und Autor Robert Misik. Die Diskussion fand im Bruno Kreisky Forum für Internationalen Dialog statt.

Misik startet mit einem Lob: Ein deutlicher Ausweis über die Qualität und über die Faszination der Person Sahra Wagenknecht, der Vorsitzenden der Bundesfraktion der Linkspartei, sei nämlich der überfüllte Publikumssaal:

„So voll war der noch nie.“

Der Moderator dankt insbesondere dem Campus Verlag, der die heutige Buchpräsentation ermögliche. Daraus ergibt sich gleich seine Einstiegsfrage:

Nach Lektüre dieses Buches: Ist es ein Buch „zur“ Rettung des Kapitalismus oder ist es die Rettung „vor“ dem Kapitalismus?

Wagenknecht sehe absolut keinen Anlass dazu, den Kapitalismus zu retten. Vorerst sei klarzustellen, was man unter dem Begriff „Kapitalismus“ überhaupt verstehe. Missverständnisse nämlich, würden zu einer gewissen Abwehrreaktion führen, wie z.B.:

„Um Gottes willen! Uns doch nicht vor dem Kapitalismus retten! Der hat uns doch so viel Wohlstand gebracht. Und wir brauchen doch Leistungsanreize. Wir brauchen die Märkte!“

Die Expertin meint, dass der Kapitalismus gerne mit Dingen identifiziert würde, die originär gar nicht kapitalistisch sind. Sie erinnert an die Debatten, in denen hervorging, dass der Kapitalismus an Leistungsanreize gebunden sei: Es herrscht die feste Überzeugung, dass die Gesellschaft nur mit Erfolg und Druck zur Leistung gut funktioniert. Ohne diese Parameter würde das Ganze in eine Lethargie ausarten, es gebe keine Innovationen und keine ordentlichen Produkte mehr.

Weitere These: Was nützt es denn, wenn wir nicht mehr so viel Reichtum haben, der dann in wenigen Händen ist – dafür gibt es dann mehr Armut: Man unterstellt damit, dass der Kapitalismus im Kern eine Gesellschaft sei, die Leistung belohne und Anreize zur Anstrengung setze. Und die, die sich besonders anstrengen würden, könnten sich „nach oben“ arbeiten.

Auf heute umgelegt würde diese Beschreibung aber nicht zutreffen, meint die Autorin. Das erkenne man besonders am Niedriglohn-Sektor in Deutschland, der bereits ein Viertel der Beschäftigten umfasst. Und da ginge es um Jobs, in denen sehr viel geleistet wird, besonders im Bereich der sozialen/humanen Dienstleistungen: Altenpflege, Krankenhausberufe, Kindergärtnerinnen u.v.m. seien vielfach ganz schlecht bezahlte Jobs.

Weiters erwähnt sie die Spaltung des Arbeitsmarktes durch die Arbeitsmarktreformen: Für die gleiche Leistung würde nämlich unterschiedlich bezahlt. Und das sei abhängig von der Art der Anstellung: feste Anstellung, Leiharbeiter, Werkvertragler etc. Dieselben Personen unterschiedlichen Vertrages würden dasselbe tun, aber unterschiedlich verdienen. In privatisierten Jobs wie Post, die Bahn, gebe es ebenso Unterschiede in der Höhe der Gehälter: Die „Verbeamteten“ verdienen anders als Neuangestellte.

Daran erkenne man, dass es so etwas wie eine Leistungsgesellschaft, also im Sinne dass eine Leistung fair honoriert werde, gar nicht gibt. Insbesondere bei „wichtigen gesellschaftlichen Leistungen“ z.B. bei der Pflege älterer Menschen oder bei der Kinderbetreuung. Diese Sparten müssten eigentlich entsprechend höher bezahlt werden.

Auf der anderen Seite des Spektrums herrscht ein unglaubliches Anschwellen der Gehälter vor: Man fragt sich natürlich, warum genau dort diese Honorierung – z.B. Manager, die teilweise ihr Unternehmen „in den Sand gemanagt“ haben. So manche kriegen perverse Gehälter von 20 Millionen im Jahr. Es handelt sich hier schlichtweg um falsche Entscheidungen in extremer Weise, sogar oft mit „Golden Handshake“ mit einem riesigen Honorar, hält Wagenknecht fest.

Weiteres Beispiel: Finanzmarkt. Am Finanzmarkt würden Leistungen honoriert, die teilweise sogar als schädlich bezeichnet werden könnten. Da gehe es nicht um ein neues Produkt, oder um eine Innovation, um eine Idee, sondern vielmehr um Zerstörerisches: Hochfrequenz-Handel, Derivate-Handel. Der realwirtschaftliche Effekt und der Nutzen für die Allgemeinheit seien da völlig abhanden gekommen.

Die größten Einkommen im Kapitalismus sind ihrer Meinung nach sowieso leistungslose Einkommen: Einkommen aus purem Vermögensbesitz. Diese Einkommen würden sogar die exorbitanten Manager-Gehälter in den Schatten stellen. Die Erben der BMW-Aktien in Deutschland z.B., die Dynastie Quandt und Klatten: Frau Klatten habe im Jahr hunderte Millionen an Einkommen geschöpft aus den Dividenden, die die BMW-Aktien abwerfen. Einkommen zu erhalten, ohne jemals etwas dafür getan zu haben, und das in riesigen Mengen, sieht Wagenknecht als den „wahren Kapitalismus“.

Weiterer Irrglaube: Wenn man Kapitalismus abschafft, würden gleichzeitig die Märkte abgeschafft. Kapitalismus würde also mit Marktwirtschaft identifiziert. Große moderne, digitale Ökonomien seien große, globale Monopolisten: Google, Facebook, Amazon, Apple – da existiere kein echter Markt. In vielen anderen Bereichen z.B. Pharma, Chemie ist es genauso – da gebe es vielleicht 3, 4 Anbieter. Da gibt es auch keine Chance für Neuaufsteiger. Dies sei auch dem neuen Patentrecht zugeschrieben, das Blockaden bieten würde. Der Kapitalismus hat also Märkte, ist aber keine Marktwirtschaft.

Deshalb sucht Wagenknecht, besonders im ersten Teil ihres Buches, das Spezifische des Kapitalismus zu erklären. Das, wovor man sich wirklich retten müsse. Für sie sei das Spezifische im Kapitalismus, dass Unternehmen Anlageobjekte sind und instrumentalisiert würden als Mittel zum Zweck der Geldvermehrung. Unternehmen seien der Hebel zur Renditen-Maximierung.

„Der Kernvorschlag meines Buches ist: Andere Eigentumsverhältnisse im wirtschaftlichen Bereich, die sich ein wenig anlehnen an das, was es heute schon gibt: nämlich Unternehmensträgerstiftungen. Da gehört das Unternehmen sich selbst“, so Wagenknecht.

Daraus entstünden zwei Vorteile:

  1. keine externen Eigentümer mit kurzfristigem Horizontaufzwang, die ihre Interessen verfolgen – vergleichbar mit Aktiengesellschaften; im Buch gibt es das Beispiel SIEMENS dafür; dadurch gebe es viel mehr Geld für Forschung, Entwicklung und Investition. Und
  2. die Botschaft der ernsthaften Aufklärung ernst zu nehmen – keine wirtschaftliche Vererbung; das sei eine Voraussetzung, dass Demokratie wieder funktioniere.

Es müsse wieder eine Diskussion stattfinden, so die Expertin, in welcher wirtschaftlichen Welt wir leben wollen. Denn wenn die neuen Technologien, Stichwort ‚Industrie 4.0, Digitalisierung‘ weiterhin in kapitalistischen Händen blieben, würde dies in noch extremere Ungleichheiten münden: zu einem Wegfall vieler Arbeitsplätze und zu einer Anhäufung von Reichtümern in den Händen weniger.

„Das, was wir heute schon erleben, soll ein Anreiz sein, über Alternativen nachzudenken. Ich versuche, in dem Buch einige Ideen zu entwickeln, wie m.E. ein neuer Ansatz einer nicht-kapitalistischen Ordnung funktionstüchtig sein könnten.“

Wieso ist es Ihres Erachtens unvorstellbar, dass aus dem jetzigen dysfunktionalen Turbo-Kapitalismus ein funktionstüchtiger Kapitalismus werden kann?

Man könne Verbesserungen vornehmen: Vermögenssteuer erheben, gute Arbeitsmarktgesetze zur Verhinderung von Lohn-Dumping machen u.v.m.. Wenn man aber versucht, so Wagenknecht, Sozialstaaten nach dem Muster der Fünfziger Jahre aufzubauen, dann scheitere man an dem Machtungleichgewicht und an der Erpressung. Es gibt eine Erpressbarkeit in einem bestimmten Rahmen, wenn man die sozialstaatlichen Regulierungen nämlich so scharf mache, dass die Rendite nicht mehr stimmt: Dann investiert niemand mehr. Dann geht man „woanders hin“. Dieses Recht und die Möglichkeit dazu habe man nämlich in der heutigen Wirtschaftsordnung.

„Nicht einmal nach der tiefen, fundamentalen Krise und Erschütterung, nach all den Milliarden, die verschleudert wurden, um Bankhäuser zu unterstützen, war es politisch wirklich durchsetzbar, eine ernsthafte Regulierung der Banken durchzuführen, die solche Geschäfte verhindert. Die Banken-Lobby hat es geschafft, wieder alles ‚windelweich‘ zu waschen: mit starkem Lobbyismus, mit starker Einflussnahme. Deshalb muss man an diese Macht ran.“

In Deutschland z.B. ist es legal, dass Unternehmen an Parteien spenden können. Bei BMW, einem Milliarden-Unternehmen, passiere das problemlos aus der Portokasse. Für die Parteien stellen diese Spenden ein wesentlicher Teil der Finanzierung dar. Das große Geld gebe es als riesigen Korruptionsapparat auch für Politiker nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politikerlaufbahn, wenn sie mit tollen Jobs geködert würden; sie wissen aber, dass sie das nur kriegen, wenn sie einer bestimmten Lobby während ihrer politischen Arbeit einen Gefallen getan hätten.

Da gibt es also zu viele Hebel, die hinderlich sein könnten, das System, wie es ist, zu verändern, betont die Expertin.

Woher soll die Gegenmacht kommen für eine weitergehende Reform?

Eine Veränderung sei nur durch eine breite, gesellschaftliche Bewegung möglich, die einfordert, durch Parteien, die sich das auf ihre „Fahnen schreiben“. Wenn ein gesellschaftlicher Diskurs da ist. Der Vorteil dabei sei: Bei Erfolg ist das nicht mehr rückholbar zu machen. Wenn es nämlich so weitergehe, wie jetzt, dann würde auch nach dem Druck einer Vermögenssteuer, das Gesetz wieder so aufgeweicht, dass sie bei etwaigen Regierungswechsel wieder keinen Sinn mehr mache.

„Wir sollen den Kapitalismus hinter uns lassen – das passiert sicher nicht in den nächsten fünf Jahren. Aber ich wäre schon froh, wenn wir wieder eine gesellschaftliche Debatte darüber bekämen. Mitte des 20. Jahrhunderts gab es noch eine lebendige, intellektuelle Diskussion über Alternativen zum Kapitalismus. (…) Ich glaube, dass vieles an Lethargie, Ohnmachtsgefühl sowie Mangel an Widerstand daran liegt, dass die Menschen glauben, dass die Gesellschaft nicht änderbar ist.“

Es sei schließlich das Neue, das weiterführt, so die Expertin. Und das sei der Sinn ihres Buches.

Befinden wir uns im post-Kapitalismus? Sind innerökonomische Motoren am Werk, die das unterstützen? Wie sieht Ihr Konzept aus?

Es gibt Entwicklungen, die danach schreien, anders und neu organisiert zu werden. Dazu bräuchte man andere Eigentumsverhältnisse und neue Organisationsformen.

Geschäftsmodelle von „Datenkraken“ sollten nicht in privater Hand sein, denn es handelt sich da um Monopole. Die Abhängigkeit habe da nichts mehr mit der klassischen Marktwirtschaft zu tun.

Demokratisierung des Kapitals, völlig neue Eigentumsverhältnisse: Bitte skizzieren Sie das genauer

Was eine Wirtschaft braucht, ist, dass jene Menschen, die die Fähigkeit haben, ein Unternehmen zu führen, auch die Möglichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen. Das ist im Kapitalismus nicht der Fall, betont Wagenknecht, denn es sei sehr schwer, an Kapital ranzukommen, wenn man nicht aus reichem Hause kommt. Ein öffentlicher Wagniskapitalfonds sei vonnöten, der groß ist und solche Gründungen ermöglicht. Dabei darf es sich nicht um einzelne Privatunternehmen handeln, die einzelne Eigentümer reich machen. Das Staatsgeld wäre dafür sehr hilfreich – Förderungen von Kleinunternehmen durch den Staat.

Wagenknechts weiterer Vorschlag für kommerzielle Unternehmen ist angelehnt an das Stiftungskonstrukt. Es gibt auf der einen Seite Stiftungsunternehmen, die de facto nur als Hülle fungieren und zur Steuerersparnis dienen, doch dieses Modell meint sie nicht: Auf der anderen Seite gibt es Stiftungen, die sich selbst gehören und ehrenwerte Ziele verfolgen mit dem Fokus, bewusst keine Aktiengesellschaft zu gründen, sondern vielmehr die Erfolge des Unternehmens jenen zugute kommen zu lassen, die im Unternehmen arbeiten und denen die Erfolge auch zu verdanken sind. Das Management sei bei einem derartigen Konstrukt nämlich daran interessiert, dass die Löhne wachsen.

Das Modell, das darüber hinausgeht, ist das Gemeinwohlunternehmen: Da sei es nicht sinnvoll, private Gewinnorientierung sich entfalten zu lassen, weil es da um Bereiche geht, in denen Märkte nicht funktionieren. In den Bereichen wie z.B. Bildung, Gesundheit und „Wohnung“ würden Märkte nämlich zu inhumanen Bedingungen führen. Deshalb sollten in diesen Bereichen andere Kriterien ausschlaggebend sein.

Manches davon gibt es ja heute schon: In Wien gibt es z.B.  Gemeindebauten, die Caritas, die Volkshilfe. Was geht, darüber hinaus?

Ja, dabei gehe es lediglich um Nischen im Wohnungsmarkt. Aber dominant sei es, dass Wohnen zu einem Spekulationsobjekt geworden ist; dass private Renditenjäger im Grunde genommen darüber entscheiden, welcher Wohnraum entsteht.

„In diesem Bereich hat eine Rendite-Orientierung nichts zu suchen. Und die Nischen sollten zu einem dominanten Modell werden.“

Private Unternehmen seien okay, aber im kleinen Bereich. Dort hingegen, wo es öffentliche Förderungen und Subventionen gibt, sollte der Profit nicht in private Taschen fließen.

Bei Grund und Boden fängt es überhaupt an: Der gehöre überhaupt nicht in private Hand. Das sieht Wagenknecht als Angriff auf die Gesamtgesellschaft.

Wie kommt man von A nach B? „Revolutionärer Reformismus“  – fangen Sie etwas mit dem Begriff an?

Wichtig ist, dass man sich im Klaren ist, was es da für große gesellschaftliche Bewegungen brauche. Es müsse viele Menschen geben, die sich dafür engagieren und auch Parteien, die gemeinsam eine Mehrheit haben, um solche Veränderungen durchzuführen. Der Begriff dafür ist für Wagenknecht nicht so wesentlich.

Ich bin jetzt fies: Wenn wir uns die SPD, die Linke, die Grünen in Deutschland ansehen – selbst wenn Ihr da die Mehrheit habt, bringt Ihr nichts zusammen …

Die Frage ist: Gibt es per se Gemeinsamkeiten, nur weil eine Partei sich SPD nennt und eine andere Grüne. Also in Deutschland sei ja nun wirklich die SPD ein ganzes Stück weit neoliberaler als „selbst“ die SPÖ.

Das Publikum applaudiert. Misik schmunzelt.

Die SPD habe in massiver Weise gegen ihre eigenen Wähler Politik gemacht: Die „Agenda 2010“ sei ein frontaler Angriff auf die Rechte von Beschäftigten gewesen; die Rentenreform auf die Absicherung im Alter, die der Normalbürger aber braucht, weil er nicht über riesige Vermögen zur Sicherung anhäufen kann; die Hartz-Reform auf den Status von Arbeitslosen – die auf eine demütigende Stellung von Almosenempfängern reduziert worden seien.

Solange an dieser Politik festgehalten würde, gebe es kein rotrotgrünes Lager, sondern leider ein neoliberales Lager, das heute in Deutschland SPD und Gründe genauso umfasst wie CDU, oder auch FDP und natürlich auch AfD.

Die Autorin wünscht sich, dass die SPD da wieder rauskommt. Dass das Ergebnis aber ein sehr negatives für die SPD ist, sei für Wagenknecht klar und erinnert sich eigentlich nur an die einzige progressive durchgesetzte Maßnahme in letzter Zeit: die Einführung des Mindestlohnes. Das sei auch überfällig gewesen. Nur sei dieser auf einem jämmerlich niedrigen Niveau, habe auch große Lücken und sei aber das Einzige an Veränderung gewesen.

Ein imaginärer SPDler würde jetzt sagen: „Ihr seid ja nur eine Radikalopposition und konstruiert bloß eine Welt, wo alle neoliberalen Finsterlinge sitzen!“ – Was würden Sie erwidern?

Die SPD macht seit Jahren eine Politik, die die gesellschaftliche Ungleichheit extrem vergrößert habe. In dem Augenblick, in dem sie sich für eine Politik entscheidet, die den Sozialstaat wiederherstellt, „wären wir geborene Partner“. Wenn Menschen nämlich in großer Zahl enttäuscht sind, dann geht ein erheblicher Teil nach Rechts. Und das seien ganz gefährliche Entwicklungen. Und da dürfe man als Linke nicht seine Glaubwürdigkeit verspielen. Die SPD habe ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Deshalb dürfe man sich als Linke nicht an ihren Rockzipfel hängen.

Was ist das Terrain dieser Reformpolitik?

Ideal wäre es, würde die ganze Welt gerechter. Wenn man also Institutionen hätte, die auf der gesamten Welt Änderungen durchführen. Die zweite Stufe wäre: Europa. Sie wehrt sich aber gegen eine Politik, die erst dann handelt, wenn sich etwas in Europa durchgesetzt hätte. Das wäre ein „Schönvorwand“, nichts zu tun. Alles würde auf die globale, europäische Ebene delegiert und man tue so, als könne man vorher nichts regeln. Und dann passiere auch nichts.

„Das ist das, was ich attackiere. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die man in den einzelnen Ländern durchsetzen und regeln kann. Und es ist durchaus nicht so, dass nationale Politik machtlos ist.“

Wenn viele europäische Länder einen Weg gehen, dann gibt es auch auf europäischer Ebene eine Mehrheit. Aber sie kritisiert, allein darauf zu warten, bis die Mehrheit auf europäischer Ebene ist.

„Wenn in einem Land eine Mehrheit da ist, dann muss man es dort realisieren. Dann muss man das, was dort demokratisch entschieden ist, ernst nehmen und umsetzen können. Ich möchte ein Europa, in dem sich Mehrheitsentscheidungen einzelner Länder tatsächlich auch wieder umsetzen lassen.“

Deshalb wehrt sie sich dagegen, dass immer mehr Kompetenzen auf die europäische Ebene übertragen werden. Auf der Brüsseler Ebene gebe es keine wirkliche demokratische Kontrolle. Der Raum dafür sei intransparent. Wagenknecht erlebte es im Europaparlament selbst: Für die Abstimmungen im Europaparlament gab es keinen Druck; im Ausschuss säßen auch mehr Lobbyisten als Abgeordnete. Das wäre im Bundestag und im österreichischen Parlament undenkbar.

„Ich glaube nicht daran, dass die europäische Demokratie als supranationale Demokratie aktuell funktionsfähig ist. Kann irgendwann mal anders sein.“

 

Das Publikum stellt Fragen: Sahra Wagenknecht antwortet in Ihrem Schlusswort auf diese

Tun Politiker immer das, was sie denken?

Das glaubt die Wirtschaftsexpertin nicht. Was Merkel aber von der Linken denkt, das sei dann doch ihre wahre Haltung, meint die Expertin.

Ökologische Nachhaltigkeit

Dieser Punkt ist im Buch näher behandelt. Die ökologische Nachhaltigkeit sieht Wagenknecht als zweiten wichtigen Punkt, warum wir über eine neue Wirtschaftsordnung dringend nachdenken müssen. Für die Expertin gebe es keinen „grünen Kapitalismus“, weil das seinem inneren Wesen widerspreche.

„Wir brauchen eine Wirtschaft, die Dinge produziert, die lange halten, die reparierbar sind und die aus Materialien bestehen, die man recyceln und wieder in den Produktionsprozess reinholen kann.“

Es sei ihres Erachtens kein Zeichen von Wohlstand, sich ständig neue Geräte kaufen zu müssen, weil diese nicht mehr funktionieren. Man sei doch wohlhabender, wenn man Produkte habe, die langanhaltend funktionieren und die man reparieren könne.

Globalisierte Welt

Die Globalisierung sollte nicht wie ein „Fetisch“ betrachtet werden. Vielmehr sollte man sich fragen, was wir damit meinen: Gibt es einen internationalen Austausch oder hat ein Unternehmen globale Ausmaße? Ist so ein globales Ausmaß überhaupt wünschenswert? Wer braucht diese riesigen Monsterunternehmen? Wäre es nicht besser, wenn sie deutlich entflochten und kleiner wären?

„Die EU sollte sich gegen Dumpingprodukte besser schützen. (…) Auch bei anderen Produkten, die auf Kinderarbeit oder auf schlimmen sozialen Zuständen beruhen, sollte es Schutzrechte geben und der Markt vielleicht sogar geschlossen werden, um dadurch nicht unter Druck gesetzt zu werden.“

Globalisierte Freihandel: Die EU macht im Agrarbereich ganze Länder kaputt, indem wir z.B. subventionierte Agrarprodukte nach Afrika liefern, denn da ist der freie Handel richtig zerstörerisch, weil die örtlichen Bauern nicht konkurrenzfähig sind.  Freihandel ist also per se nicht nur etwas Positives, sondern kann auch, wenn es z.B. um Dumping geht, sehr viel Schaden anrichten.

Was die Autorin wirklich wichtig findet für die politische Debatte:

„Gesellschaften sind von Menschen gemacht und können auch von Menschen verändert werden. Wenn die Gesellschaft gegen den Wohlstand von Mehrheiten funktioniert, dann sollte man sie verändern. Und wenn eine Gesellschaft krank ist, dann sollte es auch Auftrag sein, diese zu ändern, damit die Abwärtsspirale nicht weitergeht.“

Robert Misik verabschiedet sich als Gastgeber von Sahra Wagenknecht und schließt mit einem Zitat aus einem Interview mit Bruno Kreisky ab:

„Wogegen ich mich ein ganzes Leben gewehrt und wogegen ich gekämpft habe, war dieser eine Satz: ‚Da kann man halt nix machen.'“

 

Credits

Image Title Autor License
Sarah Wagenknecht Sarah Wagenknecht Anna Dichen CC BY-SA 4.0