LOVING DAY – Karin Schreiner, die „interkulturelle Liebe“ und ihre möglichen Mäkel
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 10. 6. 2016
- Veranstalter
- Verein FIBEL
- Ort
- Verein FIBEL
Anlässlich des heutigen „Loving Day“ fand vor zwei Tagen, am Freitag, den 10. Juni 2016, um 18:00 Uhr, eine feine Feierlichkeit im Verein FIBEL im dritten Bezirk (Wien) statt – und wir waren dabei.
Der Verein FIBEL ist eine Fraueninitiative, die sich seit 1993 mit den Problemen und Angelegenheiten bikultureller Ehen und Lebensgemeinschaften beschäftigt. Der Verein fungiert als Beratungs-, Informations- und Vernetzungsstelle für Interessierte und Betroffene.
„Wir leben Integration“, so der starke Slogan von FIBEL. Erfahrene PsychologInnen, JuristInnen, SoziologInnen, EthnologInnen etc. sind laufend bemüht, in Vorträgen, Workshops und Veranstaltungen kompetent interkulturelle Entwicklungsarbeit zu leisten.
Homepage: http://www.verein-fibel.at/
email: fibel@verein-fibel.at
Zu Gast ist heute die prominente Sozialanthropologin Karin Schreiner und wird uns von der FIBEL-Vereinsvorsitzenden Sylvia Leodolter vorgestellt. Schreiner wird uns ihr letztes Buch „Ein Paar – zwei Kulturen“ in Form einer Vorlesung präsentieren.
Meine Tochter (11) und ich sind da und hören zu; und gehören zum 98%igen Frauenanteil dieser illustren „Loving Day“-Festivität. Sehr positiv ersten Eindruckes über die gesamte Veranstaltung stimmt uns auch, dass das verlockende Buffet schon vor der Lesung eröffnet wird. – Also alles einmal anders!
Und nun.. wieder der Reihe nach:
„Loving Day“ – What’s that?
Der „Loving Day“ ist die mittlerweile größte multirassische Feier in den Vereinigten Staaten und wurde sogar zu einem offiziellen Feiertag in einigen Städten und im Caroline County in Virginia erklärt. am 12. Juni 1967 geschah nämlich eine juristische Besonderheit: Es wurde ein Gesetz des Bundesstaates Virginia aufgehoben, durch welches „gemischtrassige“ Ehen zwischen weißen und nichtweißen Partnern verboten war. Der Oberste Gerichtshof entschied zugunsten des Ehepaares „Loving“ (Richard Loving war weiß, Mildred Loving war Afroamerikanerin) – deren Heimat Virginia war – und bildete somit einen Meilenstein der amerikanischen Bürgerrechts- und Antiapartheitsbewegung. Ab diesem Zeitpunkt waren nun keine Beschränkungen mehr bei der Eheschließung hinsichtlich unterschiedlicher Hautfarbe zulässig.
Im Verein FIBEL wird der „Loving Day“ dieses Jahr bereits zum zweiten Mal zelebriert. 2015 fand eine Videoaufführung statt, erzählt Leodolter. Der dritte Bezirk mache diese kleine Kulturveranstaltung hoffentlich, wie letztes Jahr, aus dem Kulturbudget finanziell wieder möglich.
Und jetzt schenkt uns die Sozialanthropolgin einige Zitat-Gustostückerl aus ihrem Erfahrungsschatz der insgesamt 25 interviewten interkulturellen Paare aus ihrem Buch „Ein Paar – zwei Kulturen“, erläutert die Konfliktsituationen und bietet Lösungen, wie man mit dem einen oder anderen Problem umgehen könnte:
Anpassung
Nun kommt man in ein fremdes Land, will den Partner heiraten – wie geht es einem da in Bezug auf das Thema „Anpassung“? Der Urlaub ist vorbei, jetzt ist Alltag; was tun:
- Muster müssen aufgegeben werden, um in diesem Anpassungsprozess gut zu interagieren;
- gegenseitige Unterstützung ist notwendig; ist anstrengend, stressig und genau deshalb
- ist es vonnöten, sich in die Lage des anderen zu versetzen.
- Bildung ist wesentlich: mehr Fragen stellen, mehr Beschäftigung, mehr Reisen, mehr Lesen, mehr Reflektieren.
Eine malaysische Einwanderin – Schreiner zitiert:
„Ich musste lernen auszudrücken, was mir nicht passt. Ich musste dieses Muster lernen. Meine Schwägerin ist da sehr direkt. Ich war immer nur die ‚Unterwürfige‘. Mittlerweile bin ich mit der Schwägerin befreundet. Ich habe mich angepasst.“
Mit dieser Direktheit in der Sprache in Europa können Asiatinnen nicht viel anfangen und müssen lernen, damit umzugehen und sich anzupassen, erklärt Schreiner.
Außenwahrnehmung
Zu beachten sei laut der Sozialanthropologin in Sachen „Außenwahrnehmung“:
- Wie wird man von außen gesehen?
- Sieht man es überhaupt?
- Wie sind die Werte, wie die Regeln?
- Wie sieht jeder der beiden die Kultur des jeweils anderen?
Oft seien es genau die Kleinigkeiten im Alltag, in denen die größte Challenge stecke, so Schreiner.
Eine Österreicherin, die mit einem Inder verheiratet ist – Schreiner zitiert:
„Bei Tierfutter bekam mein Mann einen Lachkrampf: ‚Tiere verstehen ja keine Sprache? Warum reden die Menschen hier mit den Tieren so wie mit Menschen?'“
Der Punkt „Haustier“ sei kein unwesentlicher, so die Sozialanthropologin: Unlängst habe es einen Artikel im Kurier gegeben, der darüber informiere, dass Tiere im Islam beispielsweise „unrein“ seien.
Die unterschiedlichen Wirklichkeiten
„Paare schaffen ihre eigene Realität. Das ist ein konstruktivistischer Ansatz. Der durchzieht das ganze Buch“,so die Anthropologin.
Ein Paar, er Inder, sie Österreicherin; es geht darum, dass beide nach Indien in sein Heimatland ziehen. Die Österreicherin erzählt von ihrem Bild einer gemeinsamen Realität:
„Wir würden in Indien bei seinen Eltern leben. Ich wollte das aber nicht. Dann haben wir diskutiert. Ich habe gemerkt, dass das Problem für mich darin liegt, dass wir dort in Indien unsere Liebe nicht ausleben könnten. Wir hätten keinen Raum für Zweisamkeit. Für seine Eltern gibt es das nicht: Zweisamkeit leben. Das würde nie gelebt und auch nicht verstanden werden.“
Schreiner führt fort, dass es diese Privatheit in Indien ganz sicher nicht gebe und diese auch tatsächlich nicht verstanden würde. Das ist natürlich für Paare ein großes Thema. Das sind im Alltag Themen, die durchdiskutiert werden müssen. Das Problem liege sehr tief in den Werten verwurzelt.
Die Sprache
Ob es in der Sprache, in der Kommunikation Konflikte gebe, hänge von den vorherrschenden Sprachkenntnissen ab, meint die Autorin.
Wie in allem, sei besonders das Gleichgewicht wichtig, insbesondere in interkulturellen Partnerschaften. Wenn die Balance gelingt, dann funktioniere auch die Beziehungt. Wenn einem Partner aber irgendetwas fehle, dann entstünde ein Problem. Damit müssten sich die Paare dann auseinandersetzen. Das ist sicher nicht sehr leicht. Und die Sprache ist sehr wichtig.
„Der Schlüssel ist die Sprache, die das Thema auf die Bewusstseinsebene bringt.“
Die Familie – Loyalitätskonflikt
Die Familie der Partner spielt eine größere Rolle, als man zu glauben vermag. Vor allem wenn ein Partner nicht aus Europa und gar aus einer Großfamilie stammt. Es sei hier hervorzustreichen, dass wir hier in Österreich etwas „lockerer“ mit dem Familienthema umgehen; hier würde nicht so viel Druck ausgeübt, wie man zu leben hätte, so die Sozialanthropologin.
Entscheidend sei hier ganz besonders, wie sich beide mit den eigenen Familienwerten und jenen des Partners auseinandersetzen; es sei genau zu erörtern, wie die jeweiligen Rollenerwartungen aussehen sollten, gibt Schreiner zu bedenken. Wenn nämlich ein Partner abggelehnt würde wegen der kulturellen Distanz oder einer unterschiedlichen Religion, dann hätten wir wieder ein Problem.
Eine Chinesin, mit einem Österreicher verheiratet – Schreiner zitiert:
„In China ist die Familie immer involviert. Zwar gehen die Arbeiter vom Land in die Stadt und es herrscht die berühmte Ein-Kind-Politik vor, doch die Familie schaut darauf, dass ihre Kinder sehr erfolgreich sind. Da steckt großer Ehrgeiz dahinter. Eine gute materielle Grundlage und Erfolg sind sehr wichtig in China. Auf mich wurde familär Druck ausgeübt, dass ich nach Europa zum Studieren gehe. Die Familie hat da ein starkes Mitspracherecht.“
Oft würden Ehen übrigens unter Rücksprache mit den Ältesten im Dorf entschieden – in Indien zum Beispiel. Erhebliche Unterschiede in den Geschlechterrollen stellen das Hauptproblem dar, so Schreiner. Daran scheitere es sehr oft: Weil sich einer der Partner nicht von der Familie lösen könne und somit in einen Loyalitätskonflikt gerate. Da würde es nur funktionieren, wenn man dem Partner den absoluten Vorrang gebe und sich von der traditionsbehafteten Community abgrenzt.
Man müsse sich auch den eigenen traditionellen Werten gegenüber kritisch verhalten, denn die Gefahr für Paare, da auseinanderzudriften, sei sehr groß. Passiert einem der Partner große Diskriminierung, dann schließe er sich zwangsläufig immer mehr der Community an. Um dieses Auseinanderdriften zu verhindern, empfiehlt die Expertin, viel miteinander zu unternehmen und auch vieles gemeinsam zu „vermeiden“.
Höflichkeit, Gastfreundschaft
Österreich ist ja für die Gastfreundschaft im Land bekannt. „Es gibt aber immer noch Steigerungen“, fügt Schreiner schmunzelnd hinzu.
Ein Türke erzählt, verheiratet mit einer Österreicherin:
„Ich koche Berge. Meine Frau macht allerdings bei sechs Gästen nur sechs Schnitzel. Was, wenn mehr Gäste kommen?“
Da könne man ihn beruhigen, meint die Autorin, „das würde in Österreich nicht passieren.“ Und für den Fall der Fälle: Ein Türke würde für den Gast in der Regel auf sein Essen verzichten und sagen: „Ich esse nichts, ich habe schon gegessen.“ Diese Mentalität herrsche in Österreich nicht wirklich vor, gibt Schreiner zu bedenken.
Ungleichheit
In der Ungleichheit liege ein großes Konfliktpotential. Ungleichheit entstehe vor allem dadurch, wenn einer alles für den anderen hinter sich ließe. Und befinde man sich in dann einem neuen Kulturraum, gebe es auch noch einen Wissens- und Sprachdefizit. Da sei es entscheidend, wer in welchem Alter mit welchem Background und welchen Ressourcen wo lande, meint die Expertin.
Für manche Partner sei es notwendig, durch Intervention des Partners überhaupt ein Touristenvisum zu bekommen. Da beginne bereits das Ungleichgewicht und wir seien bei der rechtlichen Thematik angelangt. Und das sei etwas ganz Zentrales, so Schreiner.
Die Identität – die kulturelle Identität
Die kulturelle Identität sei ein starkes Thema bei vielen der interviewten Personen.
Beispiel: Französin mit Österreicher verheiratet, lebt schon lange hier und spricht perfekt Deutsch:
„Jetzt habe ich die österreichische Identität angenommen. Bin aber hier keine Österreicherin. Aber in Frankreich meint man, ich sei Österreicherin. Ich weiß nicht, wer ich bin. Es ist ein Gefühl der Zerrissenheit. Das war mir nicht so bewusst. Und so entsteht Nostalgie. Ich habe oft Heimweh. Ich habe keinen richtigen Ankerpunkt. Bin ich in Frankreich, fehlt mir wiederum Wien. Ich werde hier aber nie als Österreicherin angenommen. Ich will auch meinen Akzent nicht verlieren. Ich merke, dass ich ihn bewusst nicht verlieren ‚will‘. Denn das wäre Assimilation.“
Das sei sowieso Dauerthema, so die Autorin und stellt sich gerne die Frage:
„Wie lange muss man in Österreich leben, um angenommen zu werden?“
Man sehe an dem Beispiel der Französin, dass die Identität, mit einem Akzent zu sprechen, ein ganz starkes Identifikationsthema sei: um seine Kultur nämlich nicht zu verlieren.
„Die Versöhnung beider Kulturen soll eines der Ziele sein.“
Kollektives Gedächtnis
In interkulturellen Verhältnissen sei auch zu berücksichtigen, dass die Paare nicht die Geschichte des Landes teilen, also keine gemeinsamen wichtigen Ereignisse. Daraus entstünden Differenzen und oftmals Verständnislosigkeit.
Eine Österreicherin, mit einem Kanadier verheiratet, sehr reflektiert, erzählt:
„Seine Verherrlichung des Zweiten Weltkrieges war für mich die größte Herausforderung. Er sah sich als Kriegsgewinner. Konnte hernach studieren. Bekam Vergünstigungen. Mein Vater hingegen war Kriegsverlierer. Er litt sein Leben lang. All das prägte meine Geschichte: Leid, Entbehrung. Und in Kanada hat man das Gefühl, die aus dem Krieg seien Helden. Sie bekamen so viel: gute medizinische Versorgung und auch ein Studium.“
Lösungsmöglichkeit laut der Sozialanthropologin: Man müsse einander viel erzählen; aus der Jugend, aus der Kindheit. So bekomme man eine Ahnung von der Welt des anderen.
Die Religion
Dass beide Partner in einer Beziehung unterschiedliche Religionen ausüben, sehe Schreiner nicht als das Problem. Seien beide gläubig, täten sie sich sogar leichter mit einander. Schwieriger würde es, wenn einer der beiden bekennender Atheist sei. Denn in einer interreligiösen Beziehung sei es schließlich die Spiritualität, die verbindet.
„Dazu braucht es Offenheit“, betont die Expertin.
Die Kindeserziehung
Ob es Konflikte geb in Sachen Kindeserziehung, hänge stark von der jeweiligen Kultur ab. Das Konfliktpotential könne da schon recht hoch sein, so Schreiner.
In Ländern ohne Rentenversicherung beispielsweise, stellen die Kinder zugleich auch die Altersvorsorge für ihre Eltern dar. Und das hänge von der sozialen Struktur ab. Die Kindeserziehung orientiere sich wesentlich an diesen Werten. Geld würde z.B. oft nach Hause geschickt. Das sei für den einen Partner ganz selbstverständlich. Und den anderen schmerzt es vielleicht, weil das Geld dann hier nicht zur Verfügung stehen könnte, gibt die Autorin zu bedenken.
Kosenamen bei Kindern
Man glaubt es kaum – Kosennamen könnten etwas mit der zukünftigen Rollenverteilung zu tun haben:
In Österreich z.B. sagen wir zu unseren Kindern Schätzchen, Mäuschen, Häschen. In der Türkei hingegen hört man: „Mein Löwe, mein großer, starker Löwe.“ Ein Türke – Schreiner zitiert wieder aus dem Buch:
„Ich wurde immer ‚mein großer, starker Löwe‘ genannt, als ich ein Kind war – so bin ich aufgewachsen; deshalb bin ich sicher ein türkischer Macho. Mädchen werden als z.B. ‚die Schöne‘ bezeichnet. (…) Ich wurde dazu erzogen, Frauen zu beschützen.“
Hier sehe man die gelebte Überlegenheit des Mannes, was auf das künftig vorliegende Rollenmuster Einfluss haben könnte.
Kinder – Zweisprachigkeit
Da stelle sich die Frage: Wie geht man mit Mehrsprachigkeit um? Das erfordere viel Konsequenz und viel Wissen seitens der Eltern, so Schreiner. Viele Väter und Mütter seien einfach überfordert – v.a. in Sachen Konsequenz.
Es gebe da also viele Hürden, die zu überwinden wären. Wenn man aber durchhalte, habe man Kinder, die zwei oder sogar drei Sprachen sprechen. Der Einsatz der Elter sei da besonders gefragt, meint die Sozialanthropologin.
Abschlussworte der Autorin Karin Schreiner
Interkulturelle Paare tragen ein großes Potential des gemeinsamen Glücks in sich. Und nein, es sei alles nicht leicht. Nämlich alle Faktoren, die zu beachten seien, im Blick zu behalten. Toll sei es aber, die andere Welt kennenzulernen und seine eigene Welt dabei aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.
Und generell regt die Sozialanthropologin an:
„Es gibt keinen Idealzustand.“
P.S.: Mein Töchterchen (11) stellte der Autorin mutig eine kluge Frage: „Woher kennen Sie die 25 Paare?“
Schreiner antwortet, in sich ruhend und lächelnd: „Ein Drittel sind meine Freunde, und der Rest sind Freundesfreunde.“
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